D. Petr Fedorowitsch – Freitagsbrief Nr. 218

Gebiet Wolgograd, Russland
16. Februar 2006

Ich habe von Ihrem Verein einen Begrüßungsbrief mit einer Reihe von Fragen erhalten. Sie waren so bewegend, dass sie meine Seele tief gerührt haben. Ich will einige Fragen beantworten.

Es stimmt, ich geriet tatsächlich während des Krieges am 9. Oktober 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft. Bis zum Herbst 1942 befand ich mich in Lagern auf dem Gebiet Russlands. Ich erlebte Hunger, Kälte und die erniedrigende Behandlung der Menschen. Zum Beispiel wurden aus der Gruppe von Kriegsgefangenen die Juden selektiert. Das erfolgte durch Untersuchung der Geschlechtsorgane. Zahlreiche Leichen von verstorbenen Kriegsgefangenen wurden vom Lagergelände mit einer Karre abtransportiert und in einem Panzergraben begraben.

Wir schippten Schnee. Entkräftete und Bewegungsunfähige wurden auf der Stelle erschossen. Wir bauten Stein in einem Steinbruch ab.

Ende 1942 wurden wir nach Deutschland verschleppt. Zuvor waren wir in einem Lager in Quarantäne. Später erhielt jeder eine persönliche Nummer. Um den Hals hängte man ein Metallschild. Meine Nummer war 47055. Die Kleidung wurde mit weißer Phosphorfarbe bemalt (Buchstaben SU). Wenn die Kolonne der Kriegsgefangenen unterwegs war, leuchteten die Buchstaben.

Aus diesem Lager brachte man ein paar Personen ins Lager bei der Bahnstation „Tiergarten“. Man lieferte uns mit der Bahn zum Kabelwerk von Siemens. Wir arbeiteten in zwei Schichten, je 12 Stunden. Bei der Ankunft im Lager verteilte man uns auf die Betriebe. Jeder Gefangene musste als Hilfskraft bei einem Deutschen arbeiten. Manchmal war der Deutsche gut und gab uns etwas zum Essen. Die Arbeit war schwer. Vor allem quälte uns die unerträgliche Hitze. In diesem Werk arbeitete ich mehr als zwei Jahre.

Im Lager war die Disziplin brutal. Einmal wöchentlich gab es einen Gesamtappell und die Prüfung der Anwesenden nach Nummern. Hier wurden auch „Strafen“ vollstreckt. Es wurden diejenigen bestraft, die im Laufe der Woche ein Vergehen begangen hatten. Auf dem Appellplatz stand eine Bank. Der Schuldige musste sich auf die Bank legen. Er wurde festgebunden. Ein [Lager]Polizist schlug ihm direkt auf den nackten Körper. Manchmal musste der Schuldige mit Wasser wieder zu sich gebracht werden. Er wurde mit einer Trage in die Baracke zurückgebracht.

Zu dieser Zeit wurde Berlin, unter anderem das Werk, bombardiert. Die Arbeiter gingen in den Luftschutzraum. Die Gefangenen wurden in den Werkhallen eingesperrt. Das ging so bis zum Kriegsende. Ende April 1945, als die sowjetischen Truppen Berlin erreichten, begann die Evakuierung der Kriegsgefangenen aus der Stadt. Sie bewegten sich zu Fuß in kleinen Gruppen. Die Bewachung war streng. Die Geschosse explodierten bereits in der Stadt. Am 27. April 1945 geriet unsere Kolonne in eine Gegend, wo die sowjetischen Panzer Berlin belagerten. Ein Teil der Bewachung flüchtete. Die anderen, einschließlich eines vorgesetzten Offiziers, ergaben sich. Ich wurde wieder Soldat und diente in der Sowjetarmee noch über ein Jahr. Ich diente in Deutschland in Berlin, Weimar und Jena.

Zusammenfassend möchte ich betonen, dass diese Erzählung nur ein kleiner Teil der Erlebten ist. Ich habe zum Beispiel nicht gesagt, dass wir während der ganzen Zeit der Kriegsgefangenschaft unter Läusen gelitten haben. Dieses Ungeziefer zerfleischte praktisch den ganzen Körper. Am Körper gab es zahlreiche Wunden. Die Läuse entfernte man von der Unterwäsche mit einer Bürste.

Ich möchte noch zusätzlich sagen, dass ich mich an einen deutschen Soldaten mit Dankbarkeit erinnere. Ich wurde nach einer Schädelprellung ohnmächtig gefangen genommen. Der Soldat erschoss mich nicht, so wie die anderen erschossen wurden. Ein anderer Soldat erlaubte einem sowjetischen Arzt, mich zu verbinden. Oder noch eine Episode bei der Befreiung aus der Kriegsgefangenschaft. Unsere Kolonne wurde nicht erschossen, wie es bei einem Zusammentreffen SS-Männer forderten. Die Wachmannschaft verschwand einfach.

Nach dem Wehrdienst kehrte ich in meinen Heimatort zurück. Ich arbeitete beim Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Gegend. Ich gründete eine Familie und zog zwei Söhne, eine Tochter, fünf Enkelkinder und drei Urenkel groß. Der Krieg und vor allem die Kriegsgefangenschaft haben meine Gesundheit stark beeinflusst. Ich ging mit 55 Jahren als Invalide der 2. Gruppe vorzeitig in Rente. Meine Ehefrau und ich sind weit über 80 Jahre alt. Wir leben in einem Dorf. Im Garten pflanzen wir Blumen und Weintrauben.

Wir bedanken uns bei Ihrem Verein für die Sorgen um uns Gefangene. In meinem Gedächtnis hat sich die Tatsache eingeprägt, dass unser Militärkommando in Deutschland einen humanen Umgang mit dem deutschen Volk streng kontrolliert hat. Unsere Soldaten haben bei den Deutschen die in der Soldatenküche zubereitete Kascha verteilt. Während des Wehrdienstes hatte ich Kontakt mit der deutschen Bevölkerung. Viele, vor allem die Frauen, erzählten mit nassen Augen, dass ihre Söhne oder Ehemänner in Stalingrad vermisst sind. Wir hatten Mitleid.

Zum Schluss bedanke ich mich bei Ihnen für Ihre Sorgen noch einmal. […]

Auf Wiedersehen