Alla Pawlowna S. – Freitagsbrief Nr. 157

Riwne, Ukraine
Dezember 2020

Sehr geehrte … und Mitglieder des Vereins!

Es schreibt Ihnen Alla S. aus der Ukraine.

Vor Kurzem erhielt ich von Ihnen ein Päckchen mit Medikamenten, und kurz darauf einen Brief, in dem Sie schreiben, dass Sie Spenden für diese Geschenke in ganz Deutschland sammeln. Vielen, vielen Dank für eine solche Hilfe! Ihnen allen!

Für uns ältere Menschen, die schwere Leiden in den Jahren des Zweiten Weltkriegs durchgemacht haben, ist das eine große Unterstützung. Ihre Sorge und Ihre Achtung haben unsere Herzen berührt!

Sie bitten darum, über uns zu schreiben, über unsere Leiden in der Kriegszeit. Wir waren ganz klein, als der Krieg in unser Haus kam, und 1943 wurde unsere Familie zur Arbeit nach Deutschland verschleppt. Meine ältere Schwester war 6, die jüngere 10 Monate alt, und ich war 2. Man brachte uns in die Stadt Cherson im Süden der Ukraine. Wir fuhren in Viehwagen (wie sich unsere ältere Schwester erinnert). Wir kamen nach Österreich. Wir wohnten in Baracken hinter Stacheldraht. Unsere Eltern arbeiteten in Fabriken. Die Arbeit war sehr schwer, 12 Stunden am Tag. Darüber, was wir Kinder zu essen bekamen und wie man auf uns aufpasste, muss ich nichts sagen. Wir waren stark abgemagert und blutarm, daran erinnere sogar ich mich. Aber wir überlebten!!!

Es ist sogar schwer, im Brief die kleinen Episoden zu beschreiben, die in unserer kindlichen Erinnerung blieben.

In der Heimat gerieten wir noch einmal in die Hölle! In das Stalin-Regime.

Der Sowjetstaat konnte 1941 die Millionen seiner Bürger nicht verteidigen, und 1945 warf man uns absichtliche Arbeit für den Feind vor, verdächtigte uns des Verrats, erniedrigte uns und verfrachtete die meisten Ostarbeiter in das raue Sibirien zur Zwangsarbeit (Holzfällen, Kohleschächte; Trudarmija/Zwangsarbeit). Darüber hinaus war es in allen Familien verboten, über den Aufenthalt in den faschistischen Lagern zu sprechen. Und das ist der Grund, warum wir Ihnen und unseren Kindern und Enkeln darüber nichts Genaues erzählen können. Wir waren sehr klein und verstanden nicht, was um uns her geschah. Und unsere Eltern durften uns nichts sagen. Angst und Furcht, weil wir verschleppt worden waren, zogen sich durch unser ganzes Leben. 

Viel haben unsere Eltern erlitten. Sie sind lange tot und haben diesen ganzen Schmerz mit sich genommen. Das Gefühl der Angst hat sich auf uns übertragen – all das ist das Echo des     vergangenen Krieges.

Es kam die „Tauwetter“-Periode. In den 90er Jahren wurde die Ukraine unabhängig und demokratisch. Es gab Archive, unter anderem auch Archive über den 2. Weltkrieg, und die Historiker analysierten sie. Die Haltung gegenüber uns ehemaligen Gefangenen änderte sich mit der Zeit. Man betrachtete uns nun als Opfer und nicht als Verräter.

Die Stiftung „Gegenseitige Verständigung und Toleranz“ tut uns viel Gutes: finanziert Ausflüge zu den Heiligtümern der Ukraine, nach denen wir eine neue Energie-Aufladung spüren, führt viele kulturelle und soziale Unternehmungen durch. Die Aufmerksamkeit und Fürsorge der Leitung unseres Riwne Zentrums sind uns sehr teuer. Wir erleben eine bedeutende Verbesserung in unserem Leben.

Wir danken Ihnen nochmals für die Unterstützung, wünschen Ihnen eine gute Gesundheit und Erfolg bei Ihrer noblen Arbeit.

Hochachtungsvoll

Alla S.