Raisa Efimovna R. – Freitagsbrief Nr. 123

Dieser Brief ging an unsere Partnerorganisation, die belarussische Friedensstiftung. Frau R. hat inzwischen die Spende und einen Brief von uns erhalten.

Raisa Efimovna R.
Pflegeheim, Bezirk Witebsk, Belarus
Mai 2018

Antrag

Ich, Raisa Efimovna R., Mädchenname Kirnitschinkova, wurde 1936 im Dorf Zori der Glodansker Gesamtgemeinde, Bezirk Witebsk geboren.

Meine Mutter war Agaf’ja Gavrilovna Kirnitschinkova, mein Vater, Efim Tarasovitsch Kirnitschinkov, wurde 1937 gemäß dem Dekret der Besonderen Dreiergruppe des NKWD der BSSR für 10 Jahre gefangengesetzt. Er verbüßte seine Strafe in Archangelsk und starb 1942. Sein Prozess wurde wieder aufgerollt und das Dekret der Besonderen Dreiergruppe in der Sache Kirnitschinkov wurde per Dekret des Präsidiums des Witebsker Bezirksgerichts vom 11. Dezember 1958 aufgehoben und der Prozess wegen fehlendem Tatbestand eines Verbrechens beendet.

Ich wende mich an Sie mit folgender Bitte:

Ich habe im Radio gehört und in der republikweiten Zeitung „Dorfzeitung“ Nr. 45 vom 18. 04. 2018 gelesen, dass die Bewohner der von den Deutschen verbrannten Dörfer auf der Grundlage des internationalen Projekts „Soziale Unterstützung für Überlebende der verbrannten  belorussischen Dörfer 1941 – 1944“ eine Ausgleichszahlung erhalten können. Das Projekt werde von der deutschen Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ finanziert.

Das Dorf Zori im Lioznensker Gebiet, Bezirk Witebsk, in dem ich geboren wurde, wurde in Gänze abgebrannt. In den Jahren 1942 – 1943 befand sich in unserem Dorf eine Partisanenabteilung, welche, weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich gut: Tamara Dubrovka ritt auf dem Pferd, und auf der anderen Seite des Flüsschens, im Dorf Gavriki, befanden sich die Deutschen.

Im Januar 1943 kamen die Deutschen ins Dorf, trieben das ganze Vieh weg und gingen dann durch die Häuser und jagten die Leute hinaus. Unser Haus war schon abgebrannt, und wir wohnten mit der ganzen Familie in einem kalten Bau. Wir waren zu siebt: Die Großmutter, Mamas Mutter, Frau und Tochter eines Onkels, dazu dann kam noch aus Weleschkovitschi eine Frau mit einem Jungen zu uns – sie war die Schwester von Tamara Dubrovka, meine Mutter und ich. Als die Deutschen in unser Haus kamen, gingen alle zusammen mit ihnen, nur unsere Großmutter nicht. Alle wurden in einer Reihe aufgestellt und mit Hunden nach Gavriki getrieben. Dort wurden wir in Katen eingewiesen. Wir gerieten ins erste Haus zu einer Bekannten meiner Mutter. Sie erzählte uns, dass am Morgen alle Bewohner des Dorfes Zori erschossen würden. Am Tag versteckte sie uns alle hinter dem Ofen, da war eine dunkle Ecke, in der Kessel standen und Brennholz lag. Sie deckte uns irgendwie zu, so gut es ging. Abends kamen sie und machten eine Liste. [Sie fragten], wie viele Leute einquartiert seien. Sie sagte, dass sie allein lebe und niemanden aufgenommen habe. Sie sei da geblieben, um das Haus zu hüten.

Als es dunkelte, gingen wir heimlich aus dem Haus und schlichen uns zum Flüsschen. Als wir fast am Fluss waren, begann eine Schießerei, alle fielen in das Flüsschen und bewegten sich dort weiter in Richtung auf das Dorf Janovitschi.

Wir erreichten das Dorf Mar’janovka – dort hatte früher ein Gutsherr gewohnt. Das Herrenhaus gab es nicht mehr, aber die Banja stand noch. Da blieben wir über Nacht. Wir waren viele. Morgens kehrten wir in unser Zori zurück. Das ganze Dorf war abgebrannt. Wir gingen zu unserer Banja, sie war auch versengt. Dort fanden wir unsere Großmutter, Elena Wlasovna K., verbrannt. Wir gingen ins Dorf Lapino, dort nahm man uns auf und wärmte uns. Und die, die im Dorf Zori geblieben waren, wurden am nächsten Morgen alle umgebracht.

Als ich den Zeitungsartikel gelesen hatte, kam mir der Gedanke, mich an Sie zu wenden. Vielleicht passe ich in die Kategorie, der moralische und materielle Hilfe zusteht.

In der Datenbank „Belorussische Dörfer, die während des Großen Vaterländischen Krieges in den Jahren 1941 – 1944 vernichtet wurden“, habe ich mein Dorf Zori gefunden.

Ich bitte Sie, mein Anliegen zu bearbeiten.

Ich lege die Dokumente bei, die ich habe.

11. 05. 2018 Unterschrift

Übersetzung aus dem Russischen von Karin Ruppelt