Marija Demjanowna B. – Freitagsbrief Nr. 227

Belarus, Gebiet Mogiljow
Februar 2023

Guten Tag

Guten Tag allen Mitgliedern und dem Vorstand des Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbI.

Ich bin die Tochter von Marija Demjanovna B. (geborene A.), geboren im Jahr 1928 im Dorf O., Bezirk Klitschewsk, Gebiet Mogiljow.

Heute haben wir einen Brief von Ihnen erhalten, und vor einem Monat erhielten wir von der Stiftung „Verständigung“ 300 Euro als Überlebende der verbrannten Dörfer. Wir danken der Stiftung natürlich dafür, dass sie die Menschen, die die Hölle des Krieges überlebt haben, nicht vergisst und sich an sie erinnert.

Meine Mutter ist am 16. Januar 95 Jahre alt geworden. Sie erinnert sich natürlich nicht an viel, aber an das, was sie und ihre Familie durchgemacht haben, und an alle ihre Mitbewohner im Dorf erinnert sie sich und erzählt es bis zum heutigen Tag.

Während des Krieges war meine Mutter 13 Jahre alt. Zu dieser Zeit waren das Dorf und die ganze Umgebung von den Deutschen besetzt, und die Gräueltaten, die die Nazis verübten, geschahen vor den Augen der Kinder. Meine Mutter erinnert sich, wie die erschossen wurden, die sich dem Regime nicht unterwarfen, das die Nazis errichtet hatten. Wie diejenigen gequält wurden, aus deren Familie jemand bei den Partisanen war, und wie die Menschen sich verstecken mussten, wenn Strafkommandos ins Dorf kamen. und wie sie, die Kinder, in den Wald flüchteten.

Sie erinnert sich, wie sie und ihr jüngerer Bruder (leider lebt er nicht mehr) einmal durch die Felder in den Wald liefen, als die Deutschen auf sie schossen, und ihr Bruder schwer verwundet wurde (er war damals erst 8 Jahre alt).

Als die Deutschen die Jugendlichen zur Zwangsarbeit nach Deutschland brachten, versteckten sich meine Mutter und zwei Nachbarsmädchen in einer Grube, die mein Vater gegraben hatte. Sie blieben dort einen ganzen Tag lang, bis es still wurde, und sie erstickten fast. Als sie aus dem Loch herauskamen, konnten sie sich nicht einmal mehr auf den Beinen halten.

Meine Mutter erinnert sich daran, wie ihr Heimatdorf niedergebrannt wurde, es war ganz furchtbar. Alle Häuser wurden zur selben Zeit in Brand gesteckt, alles stand in Flammen, und sie rannten in den Wald, um sich zu retten. Sie schliefen im Wald unter freiem Himmel. Es war sehr kalt, und nach 24 Stunden kehrten sie in das ausgebrannte Dorf zurück. Dort fanden sie keinen Platz mehr zum Schlafen (und es war März, draußen lag noch Schnee und es war eiskalt). Dann gruben sie Unterstände; die Kinder halfen den Erwachsenen (das waren im Wesentlichen Frauen und alte Männer). Mehrere Familien lebten in diesen Unterständen zusammen.

Die Deutschen zwangen uns, Straßen zu bauen und Baumstämme zu tragen, Kartoffeln zu säubern und zu schälen, damit die Nazis für sich selbst kochen konnten, während den Kindern vor Hunger die Bäuche aufquollen. Meine Mutter erinnert sich daran, dass die Deutschen jemanden dafür erschießen konnten, dass er Kartoffelschalen mit nach Hause nahm. Sie erschossen auch die an Typhus Erkrankten.

 Mutter hat zwei Brüder, einen Onkel und einen Großvater verloren, die in dem nahegelegenen Dorf lebendig verbrannt wurden. Meine Mutter betet die ganze Zeit, dass die Schrecken, die sie erleiden mussten, nie wieder über die Menschen kommen. Es ist sehr schwer, die Traumata und die Erinnerungen an diese schreckliche Zeit loszuwerden.

Meine Mutter gestattet die Veröffentlichung dieser Erinnerungen.

Frieden gedeiht dort, wo Menschen einander verstehen, auch über Grenzen hinweg.

Herzliche Grüße an alle von Maria Dem‘yanovna B. und von mir, ihrer Tochter Valentina Sergeyevna Kh. .                                         

Übersetzung aus dem Russischen: Karin Ruppelt und Igor Makarov