Jurij Iwanowitsch Balaschewitsch

Russland, Gebiet Rostow
Februar 2010
[Es schreibt die Tochter]

Guten Tag, sehr geehrte Damen und Herren!

Vielen Dank für Ihren Brief, Danke für die Anteilnahme und dass Sie die Kriegsgefangenen nicht vergessen haben!

Ich bin die Tochter von Jurij Iwanowitsch Balaschewitsch und schreibe Ihnen auf seine Bitte hin diesen Brief. Unser Vater ist Gott sei Dank am Leben und gesund. Gebe Gott, dass er am 2. Juli seinen 85. Geburtstag feiern kann!

Sich an die Vergangenheit zurück zu erinnern fällt ihm sehr schwer. Aus seinen Erzählungen weiß ich, dass er im Februar 1943 in die Armee einberufen wurde. Er war damals 17 Jahre und sechs Monate alt. Einen Monat später kämpfte er schon als Panzerfahrer an der Mius-Front, also an der Südfront. Es wurden erbitterte Gefechte geführt, es war das reinste Gemetzel. Im August des gleichen Jahres wurde sein Panzer getroffen und er geriet in bewusstlosem Zustand in Gefangenschaft. Man trieb sie nach Stalino. Sie wurden von den Polizai verprügelt, Schuhe und Kleidung wurden ihnen weggenommen. Dann lud man sie in Güterwaggons und brachte sie nach Wlodzimier-Wolynski [Stalag 365 Ukraine]. Während der ganzen sechstägigen Fahrt bekamen sie nur einmal einen Eimer Wasser für den ganzen Waggon und jeder ein Stück Brot. Man ließ sie nichteinmal auf die Toilette gehen. Als sie ankamen, war die Hälfte der Gefangenen bereits gestorben. Etwa einen Monat hielt man sie unter solch unmenschlichen Bedingungen. Dann wurden sie wiederwie Vieh in Viehwaggons geladen und nach Deutschland gebracht.

Man brachte sie nach Küstrin in ein riesiges Konzentrationslager [Stalag III C], das in mehrere Abschnitte unterteilt war, in denen Franzosen, Engländer, Tschechen, Italiener und andere Gefangene waren. Die Russen wurden von allen am schlechtesten behandelt. Sie bekamen einmal am Tag eine Balanda und ein Stück Brot. Im November wurde Vater mit zwei weiteren Gefangenen zur Kontrolle gerufen, bei der die Gefangenen normalerweise schikaniert und verprügelt wurden, diesmal aber übergab man sie überraschenderweise einem Wachsoldaten. Er brachte sie zum Bahnhof, setzte sie in einen Zug und brachte sie weg. Sie mussten im Gang des Zuges stehen, erreichten irgendwann die Stadt Wriezen. Dann mussten sie zu Fuß weiter, bis zu einem großen Gutshof mit dem Namen Herzhord [Herzerhof?]. Dort waren viele Arbeiter, etwa 30 Gefangene. Siewurden dort nicht so schikaniert wie im Lager, aber die Verpflegung war sehr schlecht: 20g Margarine am Tag, 150g Brot, Tee und Kartoffeln. Dort hat Vater dann bis 1945 gearbeitet.

Es gab dort auch Deutsche, die sehr unzufrieden waren mit dem Leben, das die Nazis ihnen aufgezwungen hatten. Als dann unsere Truppen den Brückenkopf Küstrin einnahmen, wurden alle Gefangenen mit Wagen weggebracht, in ein etwa 20 km entferntes Dorf. Von dort versuchte Vater mit zwei anderen Gefangenen die Flucht. Aber sie wurden geschnappt, halbtot geprügelt, dann brachte man sie nach Wriezen und warf sie in irgendein Kellerloch, wo sie ihrem Schicksal überlassen wurden. Da aber begann ein heftiger Bombenangriff, die Kellertür wurde zerschmettert, so dass sie schnell wieder flohen, sie hatten ja nichts zu verlieren! Sie kamen zu irgendeinem Sumpfgebiet und ruhten sich aus. Sie waren so hungrig, dass sie Rohrkolben aßen. Dann beschlossen sie weiter zu gehen. Vor ihnen lag eine Siedlung und nicht weit entfernt war eine Straße. Dann sahen sie einen Deutschen, der mit dem Fahrrad zur Straße fuhr; plötzlich wendete er panisch und fuhr wieder zurück. Vater dachte sich, dass da etwas auf der Straße sein müsste, und alssie näher kamen, hörten sie unser Lied „Katjuscha“! Sie hatten also unsere Truppen gefunden! Sie wurden nach Pritzwalk geschickt, dort wurden sie behandelt und bekamen Essen. Vater blieb dann bei der Armee, er diente bis April 1949 als Fahrer in Parchim. Dann wurde er aus dem Armeedienst entlassen und fuhr nach Hause nach Russland! Daheim musste er schwer arbeiten, das Land musste wieder aufgebaut werden. Er heiratete noch im selben Jahr, 1949. Hat uns großgezogen, seine zwei Töchter. Er ermöglichte uns beiden ein Leben, bei dem wir immer genug hatten und nie Hunger leiden mussten, und er sorgte dafür, dass wir studieren konnten.

Nach dem Krieg war Vater sehr krank, die Schläge machten sich bemerkbar: er hatte Tuberkulose! Aber der Herr befreite ihn von dieser schrecklichen Krankheit.

Er hat alle Schwierigkeiten zusammen mit meiner Mutter gemeistert. Sie leben ja schon seit mehr als 60 Jahren zusammen! Jetzt haben sie zwei Töchter, vier Enkel und zwei Urenkel. Und alle habenunser Vater und unsere Mutter großgezogen und gehütet. Dass wir alle heute in Frieden leben, dafürhaben unsere Eltern gekämpft und gelitten! Wir lieben sie sehr und sind sehr stolz auf sie!

Und Ihnen danken wir, dass Sie so eine wichtige Arbeit tun. Wenn die Menschen diese Gräuel, die unsere Väter und Mütter erleben mussten, nicht vergessen und darüber Bescheid wissen, dann werden wir, so denke ich, weiter Frieden auf Erden haben. Dann haben unsere Kinder und Enkel eine Zukunft!

Wir wünschen Ihnen alles Gute, gebe Gott Ihnen Erfolg bei Ihrer Arbeit!

Aus dem Russischen von Valerie Engle