Iwan Grigorjewitsch R. – Freitagsbrief Nr. 73

Belarus, Gebiet Witebsk

Ich, Iwan Grigorevitsch R., bin am 14. Januar 1938 im Dorf Iwan’kowo des Kravcovsker Dorfsowjets im Surazhskij Bezirk im Witebsker Gebiet geboren.

In meinem Gedächtnis haben sich bis heute die Ereignisse des Jahres 1941 erhalten, als die deutschen Eroberer in das Gebiet kamen, in dem ich mit meinen Eltern lebte. Wir waren ihnen gleichgültig, und sie vollbrachten ihre Missetaten und zwangen uns, alle möglichen Arbeiten zu verrichten. Die Missetaten gingen immer weiter, bis hin zur Vertreibung aus den Häusern, in denen die Bewohner unseres Dorfes wohnten. Die Bewohner wurden dann nach Witebsk transportiert. Sie fingen an, die Häuser der Dorfbewohner vor den Augen von Erwachsenen und Kindern anzuzünden. Nach solchen Vorkommnissen flohen viele irgendwohin. Als unser Haus abgebrannt war, richtete meine Mutter zusammen mit Verwandten aus angekohlten Balken ein bunkerartiges Häuschen auf, weil sie dachte, dass die Missetaten bald aufhören würden. Unsere Familie: meine Mutter, die Schwiegermutter und ich fassten in dieser Situation den Entschluss, uns selbständig nach Witebsk zu Verwandten durchzuschlagen. Dort wohnten wir kurze Zeit in der Kolhoznaya-Straße. Als die deutschen Okkupanten in Witebsk einmarschierten, organisierten sie den massenhaften Abtransport der Menschen: Kinder, Frauen, alte Menschen wurden in geschlossene deutsche Lastwagen verladen, davon gab es sehr viele. Dieser Menschen-Export ging in den BezirkTschaschnik – das erfuhren wir, als wir dort ankamen. Im Dorf Potschajewitschi, wurden alle, die die Lastwagen dort hinbrachten, in einem großen Schuppen in einem dichten Wald untergebracht.

Wir waren sehr lange in diesem Schuppen ohne zu wissen, was weiter passieren würde. Alle, die in diesem „Raum“ untergebracht waren, gingen nach einer Zeit in die umliegenden Dörfer. Meine Mutter, Großmutter und ich blieben im Dorf Potschajewitschi und wohnten bei einer Familie aus dem Dorf. Aber auch hier gaben die Deutschen keine Ruhe. Sie schnappten die jüngere arbeitsfähige Bevölkerung, um sie nach in Deutschland abzutransportieren. Das erfuhren meine Mutter und ich, als wir in die Polizeiwache kamen, wo die Registrierung für den Transport nach Deutschland stattfand. Meine Mutter ahnte Schlimmes und wurde unruhig. Ein Umstand kam uns zu Hilfe. Ich musste dringend auf die Toilette, und der diensthabende Polizist am Hauseingang erlaubte uns, die Toilette hinter dem Haus zu benutzen. Danach sah meine Mutter, dass der Polizist nicht am Hauseingang stand und sagte zu mir: „Wir hauen ab.“ Sie setzte mich auf ihre Schultern und wir gingen dahin zurück, wo wir vorher waren. Als wir in unserem Wohnort ankamen, blieb ich bei meiner Großmutter, und meine Mutter versteckte sich 5 Tage lang in einer Scheune, wo sie sich tief ins Heu vergrub.

Als es ruhig wurde, kam meine Mutter aus dem Versteck, und wir lebten zusammen bis zum Einmarsch der Roten Armee. Nach einiger Zeit setzten unsere Befreier alle in Autos und fuhren uns nach Witebsk.

Im Mai 1944 kehrten wir in das Dorf Iwan’kowo zurück. Das sahen wir dort: kein einziges Haus stand mehr, alles war verbrannt. Aber viele Familien kamen schon wieder nach Hause. Sie bauten Erdhöhlen und arbeiteten auf dem Gelände beim Herrenhaus. Wir fingen von Neuem an zu leben. Meine Mutter arbeitete in der Kolchose. Ich ging in die Schule, besuchte sie bis zur 7. Klasse und dann die tierärztliche Hauptschule. Ich leistete den Wehrdienst in der Sowjetarmee, studierte Tiermedizin und arbeitete 17 Jahre als Tierarzt in der Sowchose „Surazhskij“, dann als Direktor der Sowchose „Loswido“.

Jetzt bin ich Rentner. Ich bin 81 Jahre alt. Mein Vater fiel im Großen Vaterländischen Krieg in der Nähe der Stadt Welizh. Meine Mutter starb 1983. Ich bin verheiratet, habe zwei Kinder großgezogen, ein Mädchen und einen Jungen, und habe drei Enkel.

Aber all die Jahre bleibt die Erinnerung an die Leiden, die Unterernährung. Es ist schwer zu vergessen, was in diesen Kriegsjahren geschah.

Eine Wiedergutmachung für die Leiden kann in gewissem Umfang Ihre kleine Hilfe sein.

Ich bedanke mich im Voraus.

Hochachtungsvoll R.

Übersetzung Karin Ruppelt