Swetlana Wassiljewna K. – Freitagsbrief Nr. 192

Ukraine, Gebiet Kyjiw

An den deutschen wohltätigen Verein „Kontakte“ Sehr geehrte Damen und Herren,

ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die humanitäre Arbeit, die Sie leisten und möchte allen Mitgliedern Ihres Vereins meine Anerkennung und Dankbarkeit ausdrücken. Ja, wir haben viel durchgemacht und manchmal möchte man gar nicht mehr daran denken. Aber es lässt sich nicht aus dem Gedächtnis tilgen, denn es ist ja unsere Vergangenheit. Und obwohl wir schon nicht mehr ganz jung und gesund sind, so möchte man doch noch ein Weilchen leben und nicht zurückschauen, sondern nach vorn. Das was Sie tun, die Anerkennung, die Sie uns entgegenbringen und Ihre Hilfe wecken in uns Optimismus und den Glauben an das gegenseitige Einstehen unserer Länder für Frieden und Freundschaft, gegen Nationalismus und Antisemitismus.

Vielen Dank!

Hochachtungsvoll
gez. Unterschrift
07. Februar 2008

P.S. Ich füge Ihnen meine Erinnerungen in Kurzform bei.

Kurze autobiografische Erinnerungen

Ich, Swetlana Wassiljewna K. (K.) wurde am 30. Oktober 1941 in der Stadt Kaunas in Litauen geboren. Ich kam in einem Konzentrationslager in Slabadka bei Kaunas zur Welt, wo sich zu der Zeit meine Mutter Frieda Josifowna K. (Fuchs) mit meinem Bruder Wladimir aufhielt, der 1937 geboren war. Meine Mutter kam aus Kiew in der Ukraine Ende 1940 nach Litauen, da mein Vater, Wassilij Iwanowitsch K., ein Offizier der Sowjetarmee, sie zu sich geholt hatte. Hier kam der Krieg über sie. Unsere Truppen zogen sich zurück und meine Mutter, die mit mir schwanger war, wurde im August 1941 mit meinem damals vierjährigen Bruder in einem Konzentrationslager für Familien von Armeeangehörigen interniert.

Das alles erzähle ich nach den Erinnerungen meiner mittlerweile verstorbenen Mutter und meines Bruders, da mir auf Grund meines damaligen Alters aus dieser Zeit praktisch nichts im Gedächtnis haften geblieben ist. Wir lebten in kalten Baracken hinter Stacheldraht. Um mich kümmerte sich ein altes Mütterchen, da meine Mutter beim Torfstechen arbeitete. Ich erkrankte gleich nach meiner Geburt an einer beidseitigen kruppösen Lungenentzündung und schwebte lange Zeit zwischen Leben und Tod. Aber das Schicksal hat mir das Leben geschenkt und man kann unmöglich mit Worten ausdrücken, was unsere Mutter alles durchmachen musste, um uns zu retten. Sie war von der Nationalität her eine echte Jüdin, was sie natürlich verheimlichen musste. Sie lief immer Gefahr, von den Gefangenen an die Deutschen ausgeliefert zu werden. Mein sowie das Leben meines Bruders und unserer Mutter rettete der Umstand, dass sie ihre Dokumente rechtzeitig versteckt hatte und wie eine echte Russin aussah. In erster Linie haben wir dies jedoch der Menschlichkeit und Anständigkeit der Leute zu verdanken, die alles wussten und uns nicht verraten haben. Genau drei Jahre, vom August 1941 bis August 1944, lebten wir hinter Stacheldraht. Wie unsere Mutter erfuhr, wurde unser Lager später vernichtet. Aber das Schicksal hat uns erneut das Leben geschenkt. Plötzlich kamen unsere Truppen und wir waren gerettet. Unser Vater war in dieser Zeit an der Front, geriet in Gefangenschaft, flüchtete und diente dann bis zum Ende des Krieges in einem Strafbataillon.

Nach dem Krieg kehrten unsere Eltern nach Kiew zurück. Hier traf unsere Familie ein nicht weniger schlimmer Schlag. Während wir im Konzentrationslager saßen, waren die Eltern meiner Mutter in Babyn Jar durch die Deutschen erschossen worden.

Und wie konnte es anders sein – all das, was unsere Mutter erleben musste, schlug sich natürlich auf ihre Gesundheit. Sie überstand in ihrem Leben drei schwere Operationen, einen Infarkt und während der letzten zwei Jahre ihres Lebens war sie durch eine schwere Krankheit an ihr Bett gefesselt. Sie starb 1996 unter großen Qualen.

1946 wurde unser Vater nach Deutschland dienstversetzt, wo wir bis 1949 lebten. Dann wurde der Vater aus der Armee entlassen und wir kehrten 1950 nach Kiew zurück. Danach nach Irpen im Gebiet Kiew, wo unsere Eltern ein Grundstück erwarben und ein Haus bauten. Hier habe ich 1958 die Mittelschule abgeschlossen und begann zu arbeiten. 1971 habe ich ein Fernstudium am Institut für Volkswirtschaft in Kiew in der Fachrichtung Ökonomie abgeschlossen. Ich habe 40 Jahre gearbeitet und bin 1997 in Rente gegangen, weil ich mich keiner allzu guten Gesundheit rühmen kann. Nach ukrainischem Recht kann ich mich seit 1996 „Teilnehmer an Kampfhandlungen“ nennen und bin Mitglied einer Organisation ehemaliger Ghetto- und KZ-Gefangener.

Ich bin verheiratet. Mein Mann ist Rentner. Kinder haben wir keine.

Januar 2008 gez. Unterschrift

Übersetzung Anke Pfauter