Nina Fominichna Markowskaja – Freitagsbrief Nr. 67

Belarus, Gebiet Mogiljow

Guten Tag, sehr geehrte Sibylle Suchan-Floss!

Guten Tag, sehr geehrter Herr Eberle!

Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihren Brief, für die warmen Worte, für Ihre Sensibilität mir und meiner Geschichte, meinem Schicksal gegenüber.

Ich möchte Ihnen so Vieles schreiben: wie oft ich dem Tod nah war (als wir mit Gewehrkolben geschlagen wurden, als die Flugzeuge Bomben abwarfen, als wir uns in den Wäldern versteckten, in Erdhütten, als wir Angst davor hatten, auf Minen zu treten) und wie ich wunderbarerweise am Leben blieb, wie meine Freunde und Nachbarn umkamen, über das Schicksal meiner Lieben, die ich im Gedächtnis und im Herzen trage.

Meine Gedanken verwirren sich, ich habe einen Kloß im Hals, mir kommen die Tränen, und es ist schwer zu schreiben und zu sprechen.

Mein Vater, Foma Prokopowich Sherenkov, geboren 1913, wurde zu Beginn des Krieges an die Front abkommandiert. Am 2. März 1945 starb er an seinen Verwundungen.So kurz vor dem Ende starb er und hat nicht mehr erfahren, dass der Krieg zu Ende war. Begraben wurde er in Kirschinen, nach dem Krieg wurde er auf den Militärfriedhof Branewo in Polen umgebettet.

Viele Jahre habe ich versucht herauszufinden, wo mein Vater gedient hat, wie er starb, wo genau sich sein Grab befindet. Leider habe ich weiter keine Informationen über meinen Vater (über seine Kameraden, wer ihm nahestand, in welchen Städten er war, was für ein Soldat er war, wie er sich gegenüber seinen Kameraden verhielt).

Wenn Sie die Möglichkeit haben, etwas über meinen Vater herauszufinden, macht mich das glücklich. Es ist ein großer Schmerz für mich, dass ich nie am Grab meines Vaters war. Jedes Mal, wenn ich hinfahren wollte, hatte ich gesundheitliche Probleme. Ich fürchte, das wird mein Traum und mein Schmerz bleiben, weil es meine Gesundheit nicht erlaubt, auf so eine weite und schwere Reise zu gehen.

Ich kenne meinen Vater nur von Fotografien. Er hat mich sehr geliebt, hat Briefe geschrieben und schickte sogar ein Päckchen. Früher habe ich sogar mit dem Foto meines Vaters geschlafen. So hat er mir das ganze Leben gefehlt. Neben den Verwundungen, den Todesängsten, der Gewalt und Grausamkeit, die mir während des Krieges wiederfahren sind, war der Verlust des Vaters für mich das quälendste Trauma.

Jetzt habe ich nur einen Wunsch – dass wir Frieden haben, dass es Verständnis unter den Menschen gibt, dass Kinder nicht sterben und hungern, dass ihre Eltern nicht umkommen.

Hochachtungsvoll, aus reinem Herzen, Nina Fominichna Markovskaja

Übersetzung aus dem Russischen von Karin Ruppelt