Belarus, Mogilyov
April 2023
Lieber Bernhard Blankenhorn, liebe Ragna Vogel!
Ich habe Ihren Brief erhalten. Er hat mich sehr glücklich gemacht. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Freundlichkeit, Barmherzigkeit und Hilfe für die Kinder der verbrannten Dörfer in Belarus. Ich wünsche Ihnen, Ihrer ganzen Familie, den Mitgliedern Ihres Vereins – gute Gesundheit, Glück, Freude, Erfolg, ein langes Leben und dass Sie von freundlichen Menschen wie Sie es sind umgeben sein werden. Geben Sie sich nicht die Schuld an den Gräueltaten, die Ihre Vorfahren – Landsleute – in Belarus begangen haben. Gott segne Sie!
Ich, Nina Adamovna I., wurde am 25. Juli 1944 als siebte in einer Erdhütte im Dorf U. im Bezirk Be‘lnitshi im Gebiet Mogilyov geboren. Auf der einen Seite standen die Partisanen, auf der anderen die Faschisten, und die Erdhütte befand sich mitten auf dem Schlachtfeld. Gott sei Dank flogen die Granaten vorbei. Es war die Hölle! Es ist schrecklich, sich vorzustellen, was meine Mutter mit ihren kleinen Kindern unter solch unmenschlichen Bedingungen durchmachen musste. Bevor das Dorf niedergebrannt wurde, hielten sich die Faschisten in der Schule auf. Sie aßen gut. Sie nahmen den Dorfbewohnern die Kühe, Hühner und Schweine weg, zerlegten sie und aßen sie auf. Sie tranken Milch und Eier. Sie kochten nicht selbst, sondern zwangen die Frauen dazu. Sie brachten unserer Mutter Lebensmittel, damit sie für sie kochte, standen daneben und schauten zu, und nach dem Kochen ließen sie sie das Essen probieren. Sie hatten Angst, dass die Mutter sie vergiften würde.
In unseren Wäldern rund um das Dorf waren Partisanen. Der Oberbefehlshaber war Asman-Kasayev. Ein angesehener Mann. Die Faschisten wollten ihn lebend fangen, sie boten viel Geld für seinen Kopf. Es gelang ihnen nicht. Am Rande des Waldes ließen wir ihm ein Denkmal errichten. Meine Tante Hristi Fedosovna T. war Kontaktperson. Sie lebte mit ihren Söhnen in Mogilyov. Sie lief mit ihrem älteren Sohn von Mogilyov zum Partisanenkommando und erfüllte alle Aufgaben von Asman-Kasaev. Die Entfernung betrug 70 km hin und zurück. Einmal kam sie zu uns, als die Faschisten im Dorf waren. Meine Mutter hatte große Angst, dass die Faschisten herausfinden würden, dass sie eine Verbindungsperson der Partisanenkommandos war und uns alle ihretwegen erschießen würden. Sie bat sie, nicht zu uns zu kommen und vorsichtig zu sein. Unsere Mutter hatte uns sieben Kinder. Im Dorf gab es Polizisten, (einheimische Kollaborateure / d. Übers.) Verräter, die ihnen (den Faschisten / d.Übers.) dienten. Mutter kannte sie, deshalb hatte sie Angst um die kleinen Kinder. In Mogilyov wurde die Tante zusammen mit ihrem ältesten Sohn gefasst und auf schrecklichste, brutalste Weise hingerichtet. Sie wurden mit Stöcken voller Nägeln zu Tode geprügelt. Mutter erfuhr von Augenzeugen von diesem schrecklichen Massaker.
Um sie zu retten, warnten die Partisanen die Dorfbewohner davor, dass ein Strafkommando ins Dorf kommen würde. Die Deutschen stürmten in die Hütten derjenigen, die es nicht rechtzeitig schafften [zu fliehen], trieben sie hinaus und schlugen sie mit Gewehrkolben. Die Menschen weinten und flehten um Gnade, vergeblich. Sie versammelten sie alle in einem Schuppen, übergossen sie mit Benzin und zündeten sie an. Meine Cousine hörte das alles. Sie versteckte sich, aber ein Soldat fand sie und zerrte sie nach draußen. Sie flehte um Gnade, weinte, küsste seine Hände. Er ließ sie los und bedeutete ihr wegzulaufen. Danach wurde das ganze Dorf niedergebrannt. Es blieben nur die Kamine der Öfen übrig.
Ich gebe meine Zustimmung zur Veröffentlichung meiner Erinnerungen, die ich nach den Worten meiner Mutter I. Fyokla Fedosovna aufgeschrieben habe. Ich möchte, dass alle Menschen auf der Welt, unabhängig von ihrer Hautfarbe und Nationalität, in Frieden und Harmonie leben, dass sie sich gegenseitig besuchen. Nur der Friede erhält das menschliche Leben und unseren wunderbaren Planeten. Die Erde mit ihren Wäldern, Seen, Flüssen, der Tierwelt, mit einem solchen Reichtum, ist unsere Ernährerin.
Ich würde mich über eine Antwort von Ihnen freuen.
Hochachtungsvoll Nina Adamovna
Übersetzung aus dem Russischen: Igor Makarov und Karin Ruppelt