Im November 1991 erschreckte uns die Nachricht aus Riga, der lettische Parlamentspräsident habe bei der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Erschießung von tausenden Bewohnern des Rigaer Ghettos geäußert, die Juden hätten in gewisser Weise an ihrem Schicksal selbst Schuld, da sie zuvor den Einmarsch der Roten Armee in Lettland begrüßt hätten. Diese ungeheuerliche Aussage veranlasste uns zu einem Offenen Brief an den lettischen Präsidenten Ulmanis.
Nicht nur die neulettische Geschichtsinterpretation war es, die uns zu weiterführenden Aktivitäten anregte. Wir empfanden es auch unerträglich, dass Veteranen der lettischen Waffen-SS regelmäßige Beihilfen der Bundesregierung erhielten, während die Überlebenden der Shoa keinerlei Zuwendungen vom offiziellen Deutschland bekamen.
Das waren die Gründe, weshalb wir einem der Teilnehmer unserer internationalen Historikerkonferenz über Ursachen, Opfer und Folgen des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion, dem Überlebenden des Rigaer Ghettos Margers Vestermanis, eine gemeinsame Ausstellung vorschlugen. Dieser Historiker hatte in Jahrzehnten eine große Sammlung von Dokumenten ermordeter jüdischer Landsleute angelegt. In Familienalben und anderen hinterlassenen Spuren jüdischen Lebens erschloss sich eine Kultur- und Menschenlandschaft, der Margers Vestermanis unfassbare Kommentare zufügte:
- Das Foto einer Schulklasse mit Lehrerin, der Begleittext nannte den Namen des einzigen Kindes, das überlebte.
- Eine Großfamilie in Positur vor dem Hochzeitsfotografen: Herr Vestermanis kannte alle Namen und das Ende eines jeden: das Massengrab von Rumbula.
- Lachende Gesichter bei jüdischen Festen – und das Ende.
- Momentaufnahmen von Sportveranstaltungen – einer entkam und wurde als Partisan erschossen.
So viele Gruppenfotos von fröhlichen Kindern, das Ende eines jeden war aufgezeichnet.
In mehrjähriger Arbeit entstand zusammen mit Margers Vestermanis die Ausstellung „Die Shoa in Lettland“, die am 13. Januar 1998 zum Nationalen Gedenktag aus Anlass der Befreiung der Überlebenden des Vernichtungslagers Auschwitz im Bonner Bundeshaus eröffnet wurde. Viele Bundestagsabgeordnete, Diplomaten, Vertreter jüdischer und jüdisch-christlicher Organisationen aus dem ganzen Bundesgebiet waren zur Eröffnung erschienen.
Den deutschen Politikern sollten die Bilder vernichteter Menschen vor Augen geführt werden, deren Nachkommen bis dahin kein Wort der Entschuldigung und Anteilnahme aus Bonn vernahmen. Doch Rita Süßmuth konnte ihre Eröffnungsrede ein wenig umformulieren, denn am selben Tage hatte sich die Bundesregierung mit der Jewish Claims Conference daraufhin verständigt, auch jüdischen Überlebenden in Osteuropa finanzielle Leistungen zuzugestehen.
Die Ausstellung wanderte von Bonn ins Haus der Bremer Bürgerschaft und nach Berlin, wo sie vom Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst eröffnet wurde.
Der ursprüngliche Plan, die Texte ins Lettische zu übersetzen und dann nach Riga zu bringen, scheiterte zuerst am Geld und wurde dann überflüssig: mit einem Zuschuss der Soros-Foundation gelang es Margers Vestermanis, die Geschichte der Juden Lettlands und ihre Vernichtung in einer Ausstellung zu zeigen, die bis heute im Haus der Jüdischen Gemeinde in Riga zu sehen ist.
Dagegen endete unsere Ausstellung, noch bevor sie auf Wanderschaft durch die neuen Bundesländer ziehen konnte. Im Winter 2000 lagerte sie im Keller der Synagoge Rykestraße in Berlin, ein Wassereinbruch beschädigte sie dermaßen, dass sie nicht mehr vorzeigbar ist.