Petro Demyanovich St. – Freitagsbrief Nr. 202

Ukraine, Gebiet Rivne

07.07.2020

Ich, St. Petro Demjanovytsch, wurde am 5. August 1933 im Dorf Samtschysko, Kreis Dubno (Verba), Gebiet Rivne geboren. Ich kann mich noch sehr gut an den Kriegsausbruch erinnern. Es war Sonntag und ein schöner sonniger Tag. Die Menschen liefen verängstigt umher und aufeinander zu und wussten nicht, was sie nun tun sollten. Sowjetische Soldaten waren in der Defensive und mussten sich in Richtung Kiew [russisch geschrieben im ansonsten ukrainischen Text d.Übers.] zurückziehen (so dachten wir uns zumindest). Und deutsche Soldaten erschienen in unserem Dorf bereits nach zwei Wochen. Seither lebten die Dorfbewohner in Unmut, Ängsten und Unruhen.

Die Frontlinie war weit weg von uns; es kamen nur noch Meldungen, dass sie sich in Richtung Moskau bewegt. Unsere Dorfbewohner wirtschafteten so gut es ihnen möglich war. Sie bauten eine Schälmühle auf und fertigten auch Mahlsteine an, um Getreide zu mahlen, denn alle Mühlen waren bereits lahmgelegt.

Um diese Zeit erschienen in unserer Umgebung einige Partisanengruppen. Das halbe Dorf wurde verbrannt und im Hof unseres verbrannten Hauses wurde unser Großvater Mykyta getötet, weil er nicht von Zuhause weggehen wollte. 1942 bis 1943 nahte sich die Frontlinie dem Westen zu. Ende Februar 1944 wurde uns befohlen, uns auf den Weg nach Deutschland vorzubereiten. Unsere ganze Familie, so wie wir angezogen und beschuht waren, verließ alles und flüchtete sich in den Wald. Dort waren bereits viele von unseren Dorfbewohnern, die noch geschafft hatten wegzulaufen, um sich im Wald zu verstecken. So ging es bis zum 14. Oder 15. März. Am 16. März 1944 ging eine große Gruppe deutscher Soldaten auf den Wald zu, so dass keiner es schaffte zu entfliehen. Alle wurden nach Verba getrieben. Es war bereits abends. Am 17. März kamen viele Fahrzeuge angefahren, wir wurden darauf verladen und in die Stadt Brody gebracht. Auf dem dortigen Bahnhof standen Waggons bereit und wir wurden damit in die Stadt Przemysl gebracht. In Przemysl trafen wir viele Bekannte und Mitbewohner aus unserem Dorf; es waren diejenigen, denen es nicht gelungen war zu entliehen. Jeder bekam 200 g Brot und eine Schöpfkelle einer Brühe, man munkelte, es war Schleimsuppe mit Stärkemehl. In Przemysl verweilten wir zwei Wochen, danach wurden wir wieder zum Bahnhof gebracht, in Waggons verladen und es ging angeblich in Richtung Krakow los. Am nächsten Mittag blieb der Zug stehen. Wir durften nach draußen, um unseren Durst zu stillen. Wir sahen einen kleinen Fluss, der von Maschinenpistolenschützen umzingelt war. Unsere Menschen dachten, so wenig Wasser reicht doch nicht für alle. Die Männer begaben sich zu leeren Waggons, in denen vorher andere Gefangene waren, und fanden dort Hobelspäne. Mit den Hobelspänen wurde dann der Fußboden in unseren Waggons bedeckt, damit wir bequemer sitzen und schlafen konnten. Innerhalb von 2 bis 3 Stunden waren die Hobelspäne dann durch Löcher im Fußboden herausgerieselt.

Am nächsten Morgen wurden wir in die Stadt Breslau gebracht. Wir sahen einen großen Bereich, der mit einem Drahtzaun und Wachtürmen eingeschlossen war. Auf den Wachtürmen stand die Bewachung und in dem umzäunten Bereich liefen Wachhunde herum. Das Lager war in drei Bereiche unterteilt: 1 (Quarantäne), 2 (Gesunde Menschen) und 3 (Typhus- und Tuberkulosekranke). Neu eingetroffene Menschen wurden zunächst in die Quarantäne getrieben. Jeder Gefangene musste seine Kleidung bündeln, die Bündel kamen in die Reinigungskammern zur Reinigung von Dreck und Ungeziefer. Alle, Männer wie Frauen, wurden kahlgeschoren und bestimmte Körperteile mit irgendeiner Flüssigkeiten behandelt. Dann ging es in den Waschraum und dann konnte man seine gereinigte Kleidung abholen. Nach dem Waschen wurden wir sortiert – schwache Menschen kamen gleich in den Bereich für Typhus- und Tuberkulosekranke, gesunde Menschen kamen in den Bereich für Gesunde und wurden mit speziellen farbigen Kennmarken gekennzeichnet:

  1. Grün stand für Feldarbeiten bei Bauern
  2. Schwarz bedeutete Bergwerksarbeiten
  3. Blau hieß Fabriken und Werke
  4. Unsere Familie bekam braune Kennmarken, die für Arbeiten in einer Ziegelei standen.

Jeden Morgen mussten wir antreten. Auf uns kamen dann die „Kunden“ zu und wählten für sich geeignete Arbeitskräfte aus. Unsere fünfköpfige Familie landete in einer Ziegelei in der Stadt Strelin [Strehlen Niederschlesien?] Sie befand sich in einer Entfernung von 1 bis 2 km in Richtung des Dorfes Kuschlau.

Im Lager herrschte folgende Tagesordnung: Zum Frühstück gab es 100 g Brot und einen Becher Tee ohne Zucker; zum Mittagessen bekam jeder 200 g Brot und eine Schöpfkelle Kohlrübensuppe ohne Kartoffeln; zum Abendbrot gab es 1 l Kaffee ohne Brot und Zucker. Das Lager hieß „Bruckweit“, warum, weiß ich nicht, vielleicht, weil es dort nur diese Suppe aus Kohlrüben gab [Kohlrübe heißt im Ukrainischen „brukva“ – d. Übers.]. Mit Kohl- und Krautrüben wird in der Ukraine nur noch das Vieh gefüttert. In diesem Lager blieben wir für 4 (vier) Monate, fast den ganzen Juli. Im August brachte man uns dann zur Ziegelei von Strehlen. An der Ziegelei stand ein kleines Haus. In dem einen Zimmer hat unsere Familie bestehend aus 7 Personen gewohnt, die andere Hälfte des Häuschens war von 9 Zwangsarbeitern bewohnt, die ebenfalls in der Ziegelei arbeiteten.

Mein Vater, meine Mutter, meinem Bruder (er war bereits 17) und meinen Schwestern (die jüngere war 13 und die ältere Schwester 15) bekamen Arbeitskleidung. Zwei Wochen lang mussten wir nicht arbeiten, weil wir (zu) kraftlos waren. Mein Vater wog damals 44 kg. Eine ältere deutsche Frau kochte für uns zwei Wochen lang ein dünnes Süppchen und brachte es uns in kleineren Portionen 6x täglich, damit wir zu Kräften kämen, weil einer von den 310 Zwangsarbeitern an übermäßigem Essen angeblich verstorben wäre.

Nun beschreibe ich kurz, wie es uns arbeitsmäßig erging. Sonntag war Ruhetag.

  1. Geschäftsführer des Ziegelwerks war Lipschyb (?), unser Chef und kein schlechter Mensch
  2. Werkmeister war Kinz (Hinz ?), ein sehr guter Mann. Er brachte uns zwei Säcke Kartoffeln, als wir dort angekommen waren.
  3. Buchhalterin war eine junge Frau, vielleicht 30 J.

Jeden Montag brachte sie von Zuhause Kekse, die so gut schmeckten, für mich und meine jüngste Schwester.

Ich bete zu Gott, dass er ihnen und ihren Kindern Gesundheit und Glück beschert. Und dass alle Menschen niemals erleben mögen, was Unheil und Elend sind.

Mit den besten Grüßen an Sie

St.  Petro

Bitte entschuldigen Sie und leben Sie wohl.

Übersetzung aus dem Ukrainischen: Iryna Berndt