Valentina Nikolayevna St. – Freitagsbrief Nr. 208

Mogiljow, Belarus
11.04.2022

Guten Tag, liebe Mitglieder der Vereinigung!

Ich entschuldige mich gleich zu Anfang dafür, dass ich nicht gut schreiben kann und Analphabetin bin.

Ich gebe Ihnen eine Antwort auf Ihren Brief. Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir davon geschrieben haben. […]

Jetzt werde ich Ihnen schreiben, was 1941 geschah. Ich bin 1940 geboren, aber in meinem Pass steht, dass ich 1941 geboren wurde. Als ich meine Geburtsurkunde erhielt, machte ich mich jünger, denn 1941 haben die Deutschen die Gemeindeverwaltung abgebrannt, und die Informationen über meine Geburt wurden nicht mehr an das Archiv weitergegeben. Alles wurde abgebrannt, und die Gemeindeverwaltung verbrannte mit allen Dokumenten.

Wir wohnten im Dorf Pridancy, unsere Hütte lag in der Nähe des Waldes. Am 14. Oktober 1941 kamen fünf Partisanen zu uns. Sie sagten, sie würden sich drei Tage lang tagsüber bei uns verstecken, und nachts einen Auftrag erfüllen. Sie sollten innerhalb von 3 Tagen einen deutschen Anführer fangen.

Aber jemand hatte gesehen, dass bei uns Partisanen waren und hat es den Deutschen gesagt. Am 16. Oktober 1941 kamen die Deutschen in zwei Autos, umzingelten das Haus und begannen aus Maschinengewehren zu schießen, alle legten sich auf den Boden. Wir waren 5 Kinder und meine Mutter, alle lagen auf dem Boden neben den Fußleisten. Ich schlief in der Wiege, die von der Decke hing, und von den Kugeln begann die Wiege zu schaukeln. Ich setzte mich auf und lachte, weil mich jemand schaukelte.

Drei Partisanen befanden sich auf dem Dachboden, wo sie sich versteckten, zwei im Haus. Vom Dachboden sprangen die drei Partisanen in das Kartoffelfeld (hinter der Hütte waren die Kartoffeln nicht ausgegraben worden). Sie wurden sofort erschossen. Dann hörten die Schüsse auf. Meine Mutter schaute aus dem Fenster und wurde getroffen, sie fiel hin und konnte nicht mehr aufstehen. Dann brachen die Deutschen die Fenster und Rahmen heraus und setzten das Haus in Brand. Jemand sagte ihnen, dass dort kleine Kinder seien, und die Deutschen sagten ihnen, sie sollten die Kinder herausholen. Meine ältere Schwester war 13 Jahre alt und ich war 1 Jahr und 1 Monat alt. Meine Schwester sagte meiner Mutter, sie müsse aufstehen, aber sie konnte nicht aufstehen. Meine Schwester nahm mich auf den Arm, wir gingen alle fünf hinaus, und einer der Partisanen folgte uns. Er wurde auf der Stelle erschossen, und den anderen ließen sie mit Mutter im Haus zurück. Sie ließen nicht zu, dass Mutter aus dem Haus getragen wurde. Einige Leute wollten sie aus dem Haus tragen, aber die Deutschen ließen sie nicht hineingehen, sie setzten ihnen das Maschinengewehr auf die Brust: „Wenn du hineingehst, wirst du erschossen“, und so wurden Mutter und der eine Partisan bei lebendigem Leib verbrannt.

Wir begruben von unserer Mutter nur die verbrannten Knochen. Die Partisanen wurden ohne Sarg begraben, weil sie sie nicht begraben werden durften. Die Deutschen erschossen Menschen, die Partisanen begruben. Und so brannte das ganze Dorf Pridancy nieder. Alles, was wir für den Winter an Lebensmitteln gelagert hatten, brannte ab, und wir blieben nackt, barfuß und hungrig zurück.

Meine Kindheit war sehr schlimm. Wir waren alle vom Hunger aufgetrieben, liefen umher und bettelten um Essen, ich will nicht darüber schreiben. Ich schreibe Ihnen und weine, dieses Kindheitstrauma hat mich mein ganzes Leben lang begleitet. Die Älteren sind alle tot. Ich bin allein noch da.

Meine Lieben, wenn ihr mir Geld schickt, bin ich euch sehr dankbar, ich brauche es sehr dringend. Es gibt viele Dinge, die ich Ihnen schreiben könnte. Aber Sie wissen wahrscheinlich alles selbst, noch einmal vielen Dank, dass Sie sich an mich erinnern.

Übersetzung Karin Ruppelt und Igor Makarov