Jewgenij Stepanowitsch S. – Freitagsbrief Nr. 99

Diesen Brief erhielten wir 2013.

Jewgenij Stepanowitsch S.
Belarus, Witebsk

Sehr geehrte Herren!

Im Auftrag meines Vaters, S. Jewgenij Stepanowitsch, der heute in dem Dorf S., Bezirk Werchnedwinsk, Oblast Witebsk in Belarus lebt und auf Grund des hohen Alters und seines gesundheitlichen Zustandes nicht persönlich dazu in der Lage ist, beantworte ich Ihren Brief vom Mai dieses Jahres.

Viele Dörfer auf dem Gebiet des ehemaligen Bezirks Osweja in Belarus sind in den Jahren der faschistischen Okkupation völlig geplündert und verbrannt worden – oft zusammen mit der Zivilbevölkerung, die sich nichts hat zu Schulden kommen lassen. Und Sie haben Recht – so etwas darf man weder vergessen noch vergeben, denn das Vergessen und Vergeben dieser Bluttaten zieht das Aufkommen neuer Triebe nazistischer und faschistischer Ideologien nach sich, wie wir leider schon heute beobachten können. Meine Mutter, S. (Wolodjonok) Alla Petrowna, und mein Vater sind beide Kinder des Krieges, sie erlebten jene schrecklichen Jahre in den benachbarten Dörfern Selischtsche und Borisowo. Ihre Erinnerungen an jene Ereignisse, die sie in Ihrem Brief erwähnten, werden für immer in meinem Gedächtnis bleiben.

Gleichzeitig wachsen neue Menschengenerationen nach, das Leben bleibt nicht stehen, und unsere Völker müssen zweifellos nach neuen Berührungspunkten für die Zusammenarbeit im geschäftlichen wie kulturellen Bereich suchen, persönliche Bindungen pflegen, die internationale Freundschaft kräftigen. Hier ist nicht so sehr die humanitäre Hilfe an sich wichtig, sondern das Bestreben von normalen deutschen Bürgern, die ein Stück der Schuld für die Verbrechen ihrer Vorfahren auf sich genommen haben, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, dass sich die Ereignisse jener schrecklichen fernen Jahre niemals wiederholen! Und wenn die Arbeit Ihrer Organisation und Ihrer Kollegen in anderen Ländern diesem Ziel förderlich ist, dann danke ich Ihnen dafür!

Über mich: Seinerzeit war ich während des Wehrdienstes in Deutschland stationiert und kam im Kontakt mit der normalen deutschen Bevölkerung nicht umhin, ihre Freundlichkeit, Aufrichtigkeit und das Bestreben zur Zusammenarbeit zu bemerken. In der Stadt Magdeburg ist meine Tochter zur Welt gekommen, und ich erinnere mich mit großer Freude an diese Zeit.

Mit den allerbesten Wünschen,

Wladimir S.
Witebsk, Belarus

Aus dem Russischen von Jennie Seitz