Ekaterina Arsent’evna B. – Freitagsbrief Nr. 190

Gebiet Mogilyov, Belarus

Guten Tag sehr geehrter Gottfried Eberle und Mitglieder des Vereins Stiftung „Verständigung“ [sic!].  Ich habe Ihren Brief erhalten und mit Tränen in den Augen möchte ich Ihnen mitteilen von dem, was ich in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges durchgemacht habe, meine Kindheitserinnerungen, und gebe Ihnen die Erlaubnis, diese zu veröffentlichen.

Ich, B. Ekaterina Arsent‘eva, wurde am 1935 im Dorf Voynily, Gebiet Mogilyov, Kreis Chaussy geboren. Gegenwärtig lebe ich in der Stadt Mogilyov. Ich bin jetzt 86 Jahre alt.

Alles, was ich als kleines Kind erlebt habe in den Jahren des WOW, bleibt für immer in meinem Gedächtnis. Ich habe mich immer bemüht von all dem: Entsetzen, Schmerzen, Angst, Leiden, meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln zu erzählen, damit sie, die kommenden Generationen, sich immer erinnern und nicht vergessen, dass es solch einen KRIEG gab! Bis heute jammert es mich im Herzen, dass ich nicht weiß, wo mein Vater begraben ist, dass ich mein Haupt nicht an seinem Grab neigen kann.

Unsere Familie bestand aus sieben Personen: Men Vater – B. Arsentiy Kalistratovich, geb. 1898, meine Mutter – B. Prokof‘ya Borisovna, geb. 1903, und fünf Kindern: Ich, mein älterer Bruder B. Aleksey Arsent‘evich, geb. 1930, meine Schwestern: Tat‘yana Arsent‘evna, geb. 1933, Anastasiya Arsen‘evna, geb. 1937, Mariya Arsent‘evna, geb. 1939.

Als der Große Vaterländische Krieg begann, war ich gerade sechs Jahre alt. Mein Vater wurde als Soldat an die Front eingezogen, und wir blieben mit der Mutter im Dorf Voynily. Wir hatten eine sehr schwierige und beängstigende Zeit! Ich erinnere mich, wie Flugzeuge dröhnten, Bomben mit einem Pfeifen fielen. Es war sehr Angst einflößend. Wir weinten und versteckten uns im Haus unter den Dielen. Ende 1941 erkrankte meine jüngste Schwester Mariya. Sie bekam hohes Fieber, sie glühte wie Feuer und weinte die ganze Zeit. Mama ging zum deutschen Doktor nach Medikamenten, aber entweder hatten die Deutschen nicht die benötigten Medikamente oder der Arzt wollte sie ihr nicht geben, entscheiden Sie selbst. Es war nur so, dass mein Schwesterchen am folgenden Tag starb. Sie hatte schwarz gesprenkelte Lippen, ein blasses Gesichtchen und geschlossene Augen. Sie lag ganz still da, als wenn sie schliefe. Wir haben es einfach nicht verstanden, dass sie nicht mehr bei uns ist, weil Mama uns diese traurige Nachricht nicht sagte. Tatsächlich wurde die Kleine ein Jahr und sieben Monate alt. All dies Schwere strömte auf unsere Mutter ein. Und in der Tat musste sie ungeachtet dieses schweren Verlustes, allen Unglücks und Leidens, trotz der Angst, alleine vier Kinder großziehen. Wir überlebten alle im Krieg so gut es ging. Mit Müh und Not schlugen wir uns durch, manchmal hungerten wir sogar. Wir gingen auf die Felder der Kolchose, sammelten dort faulige Kartoffeln, die wir dann trockneten und aßen. Aus Klee buken wir im Sommer auf dem Lagerfeuer Fladen. Um so den Hunger zumindest für einige Zeit zu stillen. Trotzdem verlangten wir die ganze Zeit hindurch zu Essen.

Ich erinnere mich, wie einmal Deutsche zu uns in die Hütte  kamen und uns Kinder alle notierten, und unserer Mutter befahlen, uns morgen zur Schule zu bringen, angeblich um zu lernen, aber tatsächlich stellte sich heraus, um Blut zu spenden für deutsche Soldaten. Genau in dieser Nacht kamen die Partisanen. So sind wir am Leben geblieben!

1942 sind wir alle aus dem Dorf ins Gebiet Minsk, Kreis Tolochinskiy, Dorf Staraya Budovka umgesiedelt. Dort zogen wir uns in ein Haus, wo wir hungernd bis zum Ende des Krieges lebten. Als Flüchtlinge gingen meine Schwestern und ich zu den Nachbarhäusern und bettelten um Almosen, um zu überleben. Und unser älterer Bruder ging mit der Mutter auf den Feldern arbeiten.

Bei der Rückkehr in unseren Heimatkreis ins Dorf Voynily wir stellten fest, dass unser Haus abgebrannt war. Ich erinnere mich, dass der Vorsitzende des Dorfsowjets Mitleid mit uns hatte und eine Ecke in einem unversehrten Haus für uns fand. Nie werde ich den Tag vergessen, als meine Mutter die Nachricht erhielt, dass unser Vater an der Front vermisst wurde. Mama seufzte tief, sie drückte uns fest an sich und sagte, dass unser Vater noch nicht zurückkehren wird. In diesem Moment sah man bei ihr keine Tränen. In all diesen langen Jahren des Krieges hatte sie alle Tränen ausgeweint! Unsere Mutter hat uns nicht allein gelassen in den Nachkriegsverwüstungen, im fortdauernden Ertragen von Kälte, Hunger und allen erdenklichen Verlusten. Dank ihr, dem guten, feinfühligen Herzen, ihrer grenzenlosen mütterlichen Liebe und Sorge, Hingabe, Langmut, ihrem ungeheuren Fleiß, ihrer unbeschreiblichen Selbstbeherrschung, der Lebensklugheit, Redlichkeit und Anständigkeit unseres Mütterchens, sind wir alle, ihre Kinder, aufgewachsen zu würdigen Bürgern unseres Vaterlandes!

Gebe Gott, dass niemals mehr auf unserer Erde Krieg sein möge!

Ich danke Ihnen für Ihre Güte, die friedensstiftende Mission und das Bestreben zu helfen und uns noch am Leben gebliebene Augenzeugen jenes verwünschten Krieges zu unterstützen.

Danke, dass Sie sich an mich erinnern!

Übersetzung aus dem Russischen: Sibylle Suchan-Floß