Inna Markowna K. – Freitagsbrief Nr. 181

Ukraine, Saporoshje
2015

Ich, K. Inna Markowna (Mädchenname P.), wurde am 17. Mai 1936 in Saporoshje geboren. Während des Krieges (1941-1945), vor dem Einfall der Deutschen, arbeitete mein Vater P. Mark Samojlowitsch (geb. 1906) im Werk „Saparoshstal“. Nach dem Befehl zur Evakuierung der Technik wurde mein Vater zum Technikbeauftragten ernannt und reiste in den Ural. Uns konnte er nicht gleich mitnehmen, weil meine Mutter, P. Jefrosinja Georgijewna (geb. 1907), am 6. August 1941 meine Schwester P. Ljudmila Markowna in Melitopol, Gebiet Saporoshje, im Haus ihrer jüngeren Schwester zur Welt gebracht hatte.

Als die Deutschen in die Stadt kamen, gab es den Befehl, alle Einwohner hätten zu ihrem gemeldeten Wohnort zurückzukehren. Unsere Reise auf einem Bauernwagen dauerte drei Tage. Als wir zu Hause ankamen, war unsere Wohnung verwüstet und ausgeraubt. Also mussten wir uns in der Wohnung unter uns einrichten. Die Bewohner dieser Wohnung waren weggefahren und hatten einen Sack trockenes Brot dagelassen, von dem meine Mutter und wir uns ernährten. Meine Schwester war klein, zu essen gab es nichts, und unsere Mutter tauschte die goldenen Zahnprothesen meines Vaters und seinen Sonntagsanzug gegen Milch und Huhn ein. Das alles teilte sie in Portionen auf und versuchte, uns so lange wie möglich damit über Wasser zu halten.

Es war kalt und wir hungerten. Mutter brachte uns zu ihrer älteren Schwester, die am anderen Ende der Stadt wohnte, damit wir uns aufwärmen, waschen und uns eine Weile vor fremden Blicken schützen konnten. Nicht alle Nachbarn waren uns wohlgesinnt.

Einmal, als wir wieder zum Waschen bei unserer Tante waren, kam ein Polizai. Er sagte, das sei sein Revier und er sei dafür verantwortlich. Fremde dürften sich hier nicht aufhalten, am Morgen müssten wir weg sein. Und so gingen wir in der Nacht zurück.

Meine Schwester und ich verließen ein halbes Jahr lang nicht das Haus. Mutter hatte Angst, die Nachbarn würden uns verraten, als Kinder eines Juden. Manche Nachbarn spuckten durch unser Schlüsselloch und riefen: „Weg mit den Juden und den Kommunisten!“

Wir hatten große Angst!

1943 trieben die Deutschen alle Frauen nach Deutschland. Mutter nahm uns beide und ging fort, zusammen mit ein paar anderen jungen Frauen und ihren Kindern sowie einem Nachbarn, einem Invaliden mit nur einem Bein, und wir versteckten uns alle in einer Erdhütte. Tagsüber die Kinder und der Invalide, und die Frauen getrennt in einem Schuppen. Wenn es dunkel wurde, kamen sie zu uns. Die Kinder weinten alle und baten um Essen, aber es gab nichts zu essen.

Meine kleine Schwester erlitt eine Verbrennung über das halbe Gesicht. Diese „Erinnerung“ trägt sie bis heute bei sich. Ich hatte Dystrophie und Dermatitis. Wir haben überlebt, unser Vater ist zurückgekehrt, aber die Erinnerung an den Krieg ist noch immer lebendig.

Aus dem Russischen von Jennie Seitz