Wladimir Iwanowitsch Tschirkow – Freitagsbrief Nr. 103

Dieser Freitagsbrief stammt aus dem Jahr 2011, einem Zeitpunkt, an dem an eine humanitäre finanzielle Anerkennungsleistung an ehemalige sowjetische Kriegsgefangene durch die BRD noch nicht zu denken war.

Wladimir Iwanowitsch Tschirkow
Ukraine, Gebiet Saparoshje

01.02.2011

Guten Tag, sehr geehrte Mitarbeiter der wohltätigen Organisation „Kontakte-Контакты“, die sich für eine Rehabilitierung der sowjetischen Kriegsgefangenen einsetzt, die gegen ihren Willen in Gefangenschaft geraten sind – sie wurden von der sowjetischen Armeeführung einfach unbewaffnet in den Tod geschickt, an die deutschen Nazitruppen ausgeliefert. In der Gefangenschaft starben sie millionenfach den Leidenstod in Folge von Hunger und Kälte.

Ich, Waldimir Iwanowitsch Tschirkow, bin Augenzeuge ihres qualvollen Todes. Ich selbst habe auch die Gräuel des Todes durchlebt, bin aber am Leben geblieben, weil ich vorher wusste, dass die Gefangenschaft unausweichlich war und mich darauf vorbereitet hatte.

Ich hatte mir Zivilkleidung und Lebensmittel besorgt, hatte in meinem Armeesack Zwieback und Grieß, was ausreichte, dass ich etwa zwei Wochen keinen Hunger leiden musste. Das hat mich vor dem Tod bewahrt. Nachdem wir in Gefangenschaft geraten waren, trieben sie uns in einer Kolonne von mehr als 1000 Personen Richtung Westen, zu essen bekamen wir verschiedene Tierkadaver. Ich aß das nicht. Unter meinem Mantel versteckt trug ich warme Kleidung. Als wir die Station Wolnowacha erreichten, passte ich einen günstigen Moment ab, warf meinen Mantel hin und rannte durch den noch nicht fertigen Stacheldrahtzaun. So konnte ich mich retten.

Sehr geehrte Gründer der Stiftung, ich wünsche Ihnen ein Frohes Neues Jahr 2011 und Frohe Weihnachten, und ebenso dem ganzen deutschen Volk und seiner Regierung. Ich wünsche dem Bundestag und der Kanzlerin, dass sie eine humane Entscheidung in Bezug auf die sowjetischen Kriegsgefangenen fällen und sie als Opfer des Zweiten Weltkrieges anerkennen. […]

Sie haben geschrieben, dass für die sowjetischen Kriegsgefangenen ein Mahnmal aufgestellt werden sollte. Ich möchte einen Vorschlag machen, wie es aussehen könnte. Es muss erhöht stehen: auf einem Sockel von etwa drei Meter Höhe steht eine etwa zwei Meter große Skulptur. Zu beiden Seiten des Denkmals stehen Pfähle aus Metall, zwischen denen Stacheldraht gespannt wird. In der Mitte ist eine Öffnung, die der Soldat auseinander biegt, in der rechten Hand hält er eine Feldmütze mit dem Sowjetstern, seine linke Hand ist leer, blutüberströmt. Er trägt eine Soldatenuniform, man sieht darunter sein gestreiftes Hemd, an den Füßen Soldatenstiefel. Auf der Brust und auf dem Rücken hat er zwei Buchstaben in roter Farbe, „SU“. Am Kopf trägt er einen blutigen Verband. Auf dem Sockel steht in Goldlettern das Wort „Aljoscha“. Die Inschrift auf dem Sockel sagt: In ewigem Gedenken an die sowjetischen Soldaten, die in der Nazi-Gefangenschaft gestorben sind. Am Fuße des Denkmals brennt ein Ewiges Licht. Neben dem Mahnmal stehen Vitrinen, in denen Fotos und Filme von den sowjetischen Gefangenen gezeigt werden. […]

Ich wünsche Ihnen allen das Allerbeste,

Wladimir Iwanowitsch Tschirkow

Aus dem Russischen von Valerie Engler