Ukraine, Odessa
Dezember 2018
Bericht unserer Verfolgung
Ich, Rosalija Iwanowna P., wurde 1936 geboren. Meine Mutter Sajdman Tauba Abramowna und mein Vater Nikonow Iwan Iwanowitsch lebten vor dem Krieg in Odessa. Als der Krieg begann, wurde mein Vater an die Front eingezogen, und meine Mutter zog mit ihren zwei Töchtern zurück in die Straße, wo sie früher gelebt hatte. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Wohnung von dem Bruder meiner Mutter, Sajdman Michail, und seiner Familie bewohnt. Er sagte meiner Mutter, sie solle im Haus bleiben, er würde nur seine Familie zum Schiff bringen und dann uns holen kommen. Aber er kam nicht mehr zurück. Wir waren gezwungen, uns im Keller des Hauses zu verstecken. Weil es dort zu gefährlich war, beschloss meine Mutter nach Slobodka zur Schwester meines Vaters zu gehen, die dort ein eigenes Haus hatte. Ihr Mann kämpfte an der Front.
Meine Tante hatte drei Kinder – eine Tochter, 5 Jahre, einen Sohn, 3 Jahre, und noch einen drei Monate alten Sohn. Als sie uns sah, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen und sagte: „Was soll ich bloß mit euch machen!“ Ich war damals 4,5 Jahre alt, meine Schwester 1,5. Zuallererst sagte sie zu meiner Mutter, sie solle alle Papiere vernichten und nicht aus dem Haus gehen, dann versteckte sie uns im Keller, den wir nur ab und zu verließen, um etwas Zimmerluft zu atmen.
Nach einer Weile entdeckte uns die Nachbarin und verriet uns an die Besatzer, für die sie gegen Essen arbeitete, um ihre zwei Söhne durchzubringen. Meine Mutter wurde morgens abgeholt, als sie uns gerade etwas zu essen machte. Sie wurde auf dem Marktplatz in Slobodka erhängt. Unsere Tante holte uns zu sich in die Wohnung, wo es so kalt war, dass meine Schwester krank wurde und starb. Ich war älter als sie, ich habe mit Gottes Hilfe überlebt, obwohl meine Beine voller Entzündungen und meine Haare ausgefallen waren.
Als mein Vater von der Front zurückkehrte, begann er mich zu pflegen, aber in die Schule konnte ich erst 1947 gehen.
Aus dem Russischen von Jennie Seitz