Partnerreise nach Kiew und Dnipro

Vom 8. bis 13. Oktober 2017 hatten wir mit der Unterstützung der Stiftung EVZ die Gelegenheit, alte und neue Partnerinstitutionen für gemeinsame zukünftige Projekte zu treffen. Dabei traten wir in regen Austausch mit sehr kompetenten und engagierten Menschen, die in ihren Einrichtungen wichtige Arbeit leisten.

In Kiew stellte uns Boris Zabarko, der Vorsitzende der Ukrainischen Assoziation der ehemaligen jüdischen Ghetto- und KZ-Gefangenen, seine MitarbeiterInnen und ihre alltägliche Arbeit vor.

v. l. n. r.: Tatjana Archipowa, Wladimir Michailowskij, Boris Zabarko, Petr Kamenew

Er selbst konnte als Kleinkind den Massenerschießungen der Kiewer Juden entkommen. 

Hier erfuhren wir wieder, wie wichtig die Spendengelder von KONTAKTE-KОНТАКТЫ sind, um die wachsende materielle Not der Überlebenden angesichts der stetig steigenden Lebenshaltungskosten zu lindern. Dies ist auch ein wichtiger Teil der Arbeit der Stiftung Verständigung und Toleranz, die neben der Unterstützung von Opfern des Nationalsozialismus auch Jugendbildung und wissenschaftliche Austauschprojekte durchführt. Der Stiftungspräsident Igor Luschnikow und seine Mitarbeiterin Olena Martschuk empfingen uns in der Stiftung am Tag unserer Abreise aus der Ukraine.

Während unseres Aufenthalts in Kiew gelang es uns, in den Bezirk Darnitsa zu fahren, wo sich das Stalag Nr. 334 befand. Wir konnten zwei Denkmäler aufspüren, die vermutlich an das Leid der Kriegsgefangenen erinnern.

Denkmal im Kiewer Bezirk Darnitsa
Denkmal im Kiewer Bezirk Darnitsa, Foto: privat

Anschließend fuhren wir zum Majdan Nezaleschnosti (Platz der Unabhängigkeit), um die Gedenkkultur um die Toten vom Euromajdan 2013/2014 zu betrachten. Auf einer langen Mauer sind die Portraits mit Name, Berufsbezeichnung, Geburts- und Todesdatum der auf den Majdan getöteten AktivistInnen aufgereiht (drei Frauen und 97 Männer).
Darüber hinaus gibt es einzelne Grabdenkmäler von Getöteten und ein größeres Denkmal, das sie als Helden rühmt. Uns berührten die Portraits stark, da wir uns noch gut an die Nachrichten von vor knapp vier Jahren erinnern konnten.

Portraits von Getöteten des Euromajdan 2013/2014 in Kiew. Foto: privat

Nach diesem Tag in Kiew stiegen wir in den Nachtzug nach Dnipro, das ehemalige Dnipropetrowsk (mit dem kommunistischen Namenspatron Grigori Petrowski), welches im Rahmen des 2015 erlassenen Gesetzes zum Verbot von Symbolen kommunistischer und nationalsozialistischer Regime umgetauft wurde. Unter anderem sollten damit die kommunistischen Spuren in fast 1000 Ortsnamen ausgelöscht werden. Doch eine Rückkehr zum vorrevolutionären Namen der Stadt, Jekaterinoslaw, war nicht möglich, da eine Erinnerung an die Zeit im Russischen Zarenreich ebenfalls unerwünscht ist. So einigte man sich darauf, die Stadt nach dem Fluss zu benennen, an dem sie liegt (Holm, Kerstin: Städte umtaufen).

Am Bahnhof von Dnipro empfing uns in früher Morgenstunde Dr. Natalja Venger, Dozentin an der Fakultät für Geschichte der Nationalen Universität Dnipro (DNU) und am dort angesiedelten Zentrum für deutsch-ukrainische Studien. Nachdem sie uns unser Zimmer im Studierendenwohnheim gezeigt hatte, gingen wir zu den zwei Denkmälern auf dem Uni-Campus, die an die Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung, von weiteren Zivilisten und von Kriegsgefangenen erinnern. Anschließend stellte sie uns dem Dekan der Fakultät für Geschichte, Sergij Svitlenko, vor, welcher uns freundlich empfing und große Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundete. Dann lernten wir Studierende der Fakultät kennen, die sich mit vielfältigen Aspekten der Geschichte des Zweiten Weltkriegs beschäftigen, und die wir hoffentlich bald in einem Projekt als Teilnehmende begrüßen dürfen!

Rosanna Dom und Ragna Vogel mit Geschichtsstudenten der DNU, Foto: Ragna Vogel

Natalja führte uns am Nachmittag durch die Stadt, sodass wir sowohl die Architekturdenkmäler aus der vorsowjetischen Zeit als auch die sonnige Uferpromenade des Dniprs kennenlernen konnten. Eine große Sehenswürdigkeit der Stadt ist die sogenannte Klosterinsel, auf der sich heute der Schewtscheko-Erholungspark und die St. Nikolaus Kirche befindet.

Klosterinsel in Dnipro
Klosterinsel in Dnipro, Foto: privat

Am Abend trafen wir den Lektor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), Olaf Mittelstrass, um mit ihm gemeinsam, über eine Einbindung seiner Studierenden als Dolmetscher in ein zukünftiges Projekt nachzudenken. Er bietet Seminare für Studierende der Übersetzungswissenschaften an. Über ihn erfuhren wir auch über die Schattenseiten des Lebens in Dnipro/der Ukraine. So finden von Dezember bis Februar keine Lehrveranstaltungen an den Unis statt, weil diese aufgrund der finanziellen Engpässe nicht in der Lage sind, die Lehrgebäude zu beheizen. Die Lehrveranstaltungen dieser Monate werden vorgezogen oder nachgeholt.

Am nächsten Tag konnten wir dank der Vermittlung von Natalja den Direktor von TKUMA – Ukrainisches Institut für Holocaust-Studien, Igor Schtschupak, kennenlernen. Ziel des Institutes ist es, über den Holocaust in der Ukraine aufzuklären. Dies tut es nicht nur über wissenschaftliche Publikationen und Geschichtsschulbücher, sondern auch über das Museum Jüdisches Gedächtnis und der Holocaust in der Ukraine, welches wie das Institut im beeindruckenden jüdischen Kultur- und Geschäftszentrum Menorah untergebracht ist. Dieses prachtvolle Gebäude im Zentrum der Stadt, welches in seiner äußeren Form einem siebenarmigen Leuchter nachempfunden ist, wurde mit der finanziellen Unterstützung des Oligarchen Ihor Kolomojskyj 2012 erbaut. In kurzer Zeit scheint es sich, zu einer von vielen Bürgern aus Dnipro geschätzten und genutzten Einrichtung entwickelt zu haben.

Wiederum dank Nataljas Vermittlung stand uns dann in der zweiten Tageshälfte der Taxifahrer Sascha mit seinem Auto für einige Stunden zur Verfügung. Er fuhr uns kreuz und quer durch die Stadt und auch über die Stadtgrenze hinaus zu Orten, an denen Denkmäler oder Hinweistafeln für ermordete sowjetische Kriegsgefangene oder Psychiatriepatienten standen. Die Liste der Denkmäler hatten wir vorher über das Denkmalamt erhalten. So lernten wir die Stadt noch einmal von ganz neuen Seiten kennen und fanden in abgelegenen Stadtteilen Denkmäler, die auf ganz unterschiedliche Weise auf die erschütternden Verbrechen der nationalsozialistischen Besatzer hinweisen. So zum Beispiel das Denkmal am „Ort der Erschießung von 20 000 friedlichen Einwohnern (…)” im September 1943.

Denkmal in der vul. Akademika Angelja 35
Denkmal in der vul. Akademika Angelja 35, Foto: privat

Sascha setzte uns anschließend vor einem Lokal ab, in dem auf das Betreiben des DAAD-Lektors hin ein deutscher Stammtisch einmal im Monat stattfindet. Er hatte uns sehr darum gebeten, dazuzustoßen, da die Deutschlernenden sich immer sehr über den Austausch mit Muttersprachlern freuen.

Der letzte Tag war dem Besuch des Nationalen Historischen Museums Dnipropetrovsk gewidmet. Die sehr kompetente Führung von zwei MitarbeiterInnen durch die Ausstellung über die Zeit der deutschen Okkupation der Stadt Dnipro machte die Vielschichtigkeit von Geschichtsdeutung in der Ukraine sehr deutlich. Außerdem trafen wir dort den Direktor der historischen Such-Organisation Poisk-Dnepr, Andrij Bischko, der uns von den vielen unbekannten Orten im Gebiet von Dnipro berichtete, an denen bis zum heutigen Tage seine Organisation nach den Überresten von gefallenen Soldaten oder durch Massenerschießungen umgekommene Rotarmisten und Zivilisten des Zweiten Weltkriegs sucht.
Und zum Schluss traf uns mit voller Wucht die neue Ausstellung zu den aktuellen Geschehnissen im Osten der Ukraine. Das Museum ist eines der ersten im Lande, welches in diesem Umfang den noch nicht beendeten Konflikt thematisiert. So hängen nun an der Wand gegenüber von den Helden des Zweiten Weltkrieges die „neuen Helden”, die seit 2014 in dem bewaffneten Konflikt in den Gebieten Luhansk und Donezk getötet wurden.

Ausstellung des historischen Museums zum Konflikt im Osten der Ukraine seit 2014, Foto: privat

Körperlich erschöpft, aber voller intensiver Eindrücke kehrten wir nach Berlin zurück.