Nadeshda Romanowna D. – Freitagsbrief Nr. 160

Belarus, Gebiet Mogiljow
5.02.2021

Eine Anmerkung zum Text: Es ist  umstritten, ob es regelmäßige Blutspenden von Kindern für Wehrmachtsangehörige tatsächlich gab, da bis heute keine Belege dafür gefunden wurden.

Dankbrief

Ich möchte mich bei Ihnen und den Menschen bedanken, die Geld für unsere verbrannten Häuser und Dörfer gespendet haben.

Als die Deutschen unsere Dörfer und Städte besetzten, verhielten sie sich furchtbar grob gegenüber unseren Leuten. Sie töteten, vergewaltigten, verschleppten die Mädchen mit Gewalt nach Deutschland, einige (von ihnen) kehrten nie zurück.

Im Juli 1942 wurde auf die Denunziation des Bürgermeisters hin unsere Familie zur Erschießung aufgestellt: mein Vater, drei meiner Brüder, die Schwester meines Vaters Kozakova M.I. ihr Mann, ihre Kinder und die nächsten Nachbarn. Dank eines klugen und ehrlichen Dolmetschers blieben sie am Leben, aber als Geiseln bis zum ersten Schuss im Dorf. Doch mein Vater Korzunov R.I ging in derselben Nacht zusammen mit seinen Söhnen und seinen Brüdern zum Kirow-Partisanenregiment.

Unser Haus wurde 1943 abgebrannt, die Schwester meines Vaters und ihr Mann wurden als Geiseln genommen, in die Stadt Bobrujsk verschleppt und erschossen. Und ihre Kinder, es waren vier, kamen ins Lazarett, wo man ihnen Blut abnahm für die verwundeten deutschen Piloten. Die Kinder haben nicht alle überlebt.

Da unser Haus niedergebrannt war, musste meine Mutter mit mir in verschiedenen Dörfern umherziehen und uns vor den Deutschen verstecken. Mein Vater wurde verfolgt, weil er Kommunist war. Er hatte an der Erstürmung des Winterpalais 1917 teilgenommen, kämpfte im Bürgerkrieg, zerschlug die Banden des Ataman Krasnov. Danach organisierte er Kolchosen und war Kolchos-Vorsitzender, mit einem Wort, er war ein Aktivist. Mein älterer Bruder war vor dem Krieg Lehrer und war Mitglied des Komsomol. Das ist der Grund, warum wir verfolgt wurden.

Als Weißrussland 1944 befreit wurde, kam mein Bruder an die Front, wo er einen Monat später, am 10. August, in Polen, im Dorf Stara Łubianka [Pommern], fiel. Der Neffe meines Vaters kam im Mai 1945 in Berlin um. Vaters Eltern starben an Hunger, Kälte und Typhus. Ihr Haus wurde ebenfalls niedergebrannt, und sie versteckten sich auch vor den Deutschen. Zu dieser Zeit starben viele Menschen an Hunger und Typhus.

In den Dörfern gab es nach dem Krieg keinen Ort zum Wohnen, wir gruben uns Unterstände und aßen Gras und Hirse, aus der wir Brot buken,

Nach dem Krieg gab es fast keine Männer mehr, und die Soldatenfrauen pflügten das Land allein, zogen den Pflug, weil es keine Pferde gab. Und noch dabei kamen Bewohner unseres Dorfes auf den Feldern der Kolchose um. Die Deutschen hatten dort beim Rückzug Minen hinterlassen.

Dies ist eine kurze Beschreibung unseres Lebens unter den Deutschen. Krieg – da gibt es nichts zu sagen. Die Deutschen, sie wurden auch gezwungen, in den Krieg zu ziehen.

Entschuldigen Sie bitte diesen chaotischen Bericht über das Leben unserer Familie und unserer Mitbewohner. Bitte verzeihen Sie mir auch meine Handschrift.

Auf Wiedersehen

Mit Hochachtung vor Ihnen                              

(Unterschrift)

P.S. Von all meinen Verwandten bin ich die einzige, die noch übrig ist. Ich bin bereits 81 Jahre alt.

Übersetzung Karin Ruppelt