Ljubov Kondratyevna M. – Freitagsbrief Nr. 161

Belarus, Gebeit Mogiljov
16.02.2021

Guten Tag, sehr geehrte Mitarbeiter der Stiftung!

Im Namen von Ljubov Kondratjevna M. schreibt ihre Schwiegertochter Tatjana Aleksejevna. Lubov Kondratjevna bedankt sich für die 300 Euro, die sie erhalten hat, und ist froh, dass sich im modernen Deutschland Menschen an diese fernen und schrecklichen Kriegsjahre erinnern.

Auf Ihre Bitte hin werde ich ihre kurzen, unzusammenhängenden Erinnerungen aufschreiben:

Wir lebten im Dorf Zabudnjanskie Khutora, Gebiet Mogiljov. Mein Vater wurde an die Front eingezogen. Zu Beginn des Krieges bereiteten die Deutschen den sowjetischen Truppen Niederlagen und waren sehr schnell auf dem Vormarsch. Nach einiger Zeit kam mein Vater nach Hause. Seine Einheit war besiegt worden, um sie herum waren Deutsche, und die Überlebenden gingen nach Hause. Eines Tages verschleppten die Deutschen meine ältere Schwester Olga, meinen Bruder Wolodja und meinen Vater zum Ausheben von Schützengräben in das Dorf Tschigirinka. Es war etwa 15 km von uns entfernt. Sie waren dort an verschiedenen Orten. Mein Vater sagte einem Deutschen, dass seine beiden Kinder hier seien und bat ihn, sie zusammen zu bringen. Der Deutsche setzte ihn in einen Wagen, sie fuhren los und nahmen die Kinder mit. So waren sie also zusammen.

Das war offenbar, als die Russen bereits auf dem Vormarsch waren. Vater wurde an die Front verlegt. Und die Kinder – ich weiß nicht, woher sie den Wagen und das Pferd hatten, – kamen nach Hause.

Ich erinnere mich, dass mein Vater einige Zeit später einen Brief schickte. Darin schrieb er, dass wir allein zurechtkommen müssten, er werde uns keine Hilfe mehr sein. Er schrieb den Brief am 6., und am 7. erhielten wir die Todes-Benachrichtigung. Er war im Baltikum gefallen, in Litauen.

Nach dem Krieg war ich mit meinen Schwestern an dem Massengrab, in dem er beigesetzt ist. Einwohner berichteten, dass es einen heftigen Kampf gegeben hatte. Die Deutschen waren im Wald, und unsere Truppen griffen sie von einem Feld aus an. Das ganze Feld war mit getöteten sowjetischen Soldaten übersät.

Eine weitere Episode aus den Erinnerungen:

Unser Dorf bestand aus zwei Siedlungen. Die Siedlung, in der wir wohnten, grenzte an einen Wald. Ein Anwohner ging zu den Deutschen und erzählte ihnen, dass Partisanen in unser Dorf kommen würden. Eines Tages flogen Flugzeuge heran. Wir rannten weg aus dem Dorf und versteckten uns im Gebüsch. Die Flugzeuge flogen sehr tief und neigten sich zur Seite. Sie übergossen die Häuser mit einer Flüssigkeit, die sie in Brand setzte. Nur ein paar Häuser im Dorf blieben stehen. Unser Haus brannte ab. Für die erste Zeit nahm uns jemand auf. Dann wohnten wir in einer Scheune und schliefen auf Heu. Wir hatten die Krätze.

Ich erkrankte an Malaria. Ich wollte sehr gerne etwas essen und wenigstens ein bisschen Fleisch. Mein Bruder Wolodja fing einen kleinen Sperling. Es war ein Vögelchen von der Größe einer Kinderfaust. Meine Mutter kochte es und gab es mir. Wolodja saß neben mir und bat mich, ihm etwas zu geben. Ich riss ein Stückchen ab und gab es ihm.

Vier Kinder, die Mutter allein, Hunger, Kälte. Es war ein hartes Leben.

Möge Gott nicht zulassen, dass das noch einmal passiert.

Mit freundlichen Grüßen,

Ljubov Kondratjevna M.

Übersetzung Karin Ruppelt