Marija Wassiljewna S. – Freitagsbrief Nr. 92

Marija Wassiljewna S.
Belarus, Gebiet Witebsk
28.02.2017

Guten Tag,

ich bin der Sohn von Marija Wassiljewna und schreibe ihre Worte auf.

Als der Krieg begann, kamen die Deutschen auf Motorrädern ins Dorf. Sie fragten nach Wasser, aber bedeuteten erst, dass man es vorher selbst trinken sollte. Dann, nach einer Weile, zwangen sie meinen Vater, seine eigene und alle anderen Kühe aus dem Dorf zu treiben. Mein Vater weigerte sich, aber alle überredeten ihn, und er trieb sie vor das Dorf und kam wieder zurück. Aber sie befahlen ihm, die Tiere noch weiter zu treiben, weigerte er sich und wurde erschossen. Mein Bruder lugte hinter der Banja hervor, er war ungefähr zehn, die Deutschen begannen zu schießen und verletzten ihn. Wir hatten keine Medikamente, und er starb.

Das ganze Vieh aus dem Dorf Wojtowo, Surashskij Rajon, trieben sie fort, das Dorf selbst brannten sie nieder. Alle Dorfbewohner erschossen sie in der Nähe, in Tschyrwona gara [?], an der Schlucht.

Als der Schnee kam, versammelten sie alle jungen Leute und fuhren sie in ein Lager, dort war im Wald eine Militärfabrik. Nicht weit von der Stadt Belefeld [Bielefeld?]. Dort wurden Kanonen hergestellt, ich musste die Späne wegschaffen. Später schliff ich Kleinteile an der Maschine. Die Versorgung war schlecht. Ein älterer Deutscher rief mich immer, wenn er gegessen hatte, und ließ mich aufessen, was übrig war. In der Nähe wohnte der Fabrikbesitzer, er hatte Vieh, und ich ging zu ihm, um zu arbeiten, dafür gab er mir etwas zu essen und Äpfel.

Befreit haben uns die Amerikaner. Sie boten uns an, nach Amerika zu kommen. Aber wir wollten nicht.

Vielen Dank, dass Sie meine Mutter nicht vergessen. Es tut ihr gut zu sehen, dass es doch noch gute Menschen gibt.

Aus dem Russischen von Jennie Seitz