Leonid Semyonovitsch R. – Freitagsbrief Nr. 129

Belarus, Gebiet Gomel

An die Belarussische Friedensstiftung

Ich habe in der Zeitung SB  52 vom 22.03. und in der Zeitung des Bezirks “Dniaprovets”  34 vom 26.03. gelesen und schreibe Ihnen.

Ich, Leonid Semyonovitsch R., geboren 1928, wohne in Rechitsa, Gebiet Gomel.

Ich wurde im Dorf Hvojnya, in der Gesamtgemeinde von Luchitskiy, Bezirk Petrikovskiy (früher Bezirk Kopatkevich) geboren. Mein Vater, Semyon Pawlowitsch, starb 1939. Meine Mutter, Olga Wasiljewna und drei Schwestern: Nina – geboren 1921, Sina – 1930, Rosa – geboren 1932, und ich, wir wohnten im Dorf Hwojnya in unserm Haus. Meine Mutter arbeitete in einer Kolchose. Vor dem Krieg schloss ich die 6. Klasse der dortigen Schule ab.

Das Dorf Howojnya liegt am linken Ufer des Ptitsch-Flusses, unweit der Eisenbahn, auf der zu Beginn des Krieges unser Panzerzug verkehrte. Die Deutschen konnten unser Dorf nicht im Sturm einnehmen, die Kämpfe dauerten mehrere Tage lang an, und durch das Gewehrfeuer wurden ein Teil der Dorfhäuser und unser Haus mit Nebengebäuden vollständig niedergebrannt. Als wir aus dem Wald zurückkehrten, zog unsere ganze Familie in eine Wohnung in einem Haus ein, das am Ende des Dorfes in der Nähe des Waldes lag, und wohnten dort bei der Familie bis zum 29. März 1942.

Als am Morgen des 29. März 1942 meine Mutter mit den Eimern hinausging, um Wasser zu holen, ließ sie die Eimer fallen, rannte los und sagte: “Bloß weg, die Deutschen kommen!” Der Besitzer des Hauses, sein Sohn Dima und ich flohen in den Wald. Die Deutschen begannen zu schießen, ich wurde leicht am rechten Bein verwundet, aber weil der Wald nicht weit entfernt war, überlebten wir. Vom Waldrand aus sahen wir (kletterten auf Bäume), dass Menschen in die Mitte des Dorfes gejagt wurden, sie weinten, schrien, wir hörten häufige Schüsse, dann sahen wir Feuer, Rauch, hörten furchtbare Schreie, und wir verstanden, dass die Menschen verbrannt worden waren, und dann auch das ganze Dorf –  nur eine kahle Brache war zurückgeblieben. Meine Mutter und meine drei Schwestern kamen im Feuer um, ich blieb allein. Bis Juni 1944, vor der Befreiung unseres Territoriums in Belarus, habe ich viel Trauriges erlebt. Aber das ist ein anderes Thema für ein Treffen, falls es interessant sein sollte, aber ich denke, dass es für das Nationale Archiv interessant sein wird, weil ich historische Dokumente dazu habe (echte).

An der Stelle, an der die Einwohner verbrannt wurden, wurde ein bescheidenes Denkmal aus Ziegelsteinen errichtet, auf dem steht: “Mehr als 700 Einwohner wurden hier von deutschen Invasoren verbrannt”.

Ich schreibe heute, am 29. März, da genau 69 Jahre seit dem Tod der Dorfbewohner vergangen sind.

29. März 2011 (Unterschrift)

Übersetzung aus dem Russischen Karin Ruppelt