Petro D. – Freitagsbrief Nr. 143

Ukraine, Gebiet Riwne

September 2020

Guten Tag, mein Name ist D. Petro.

Ich habe mich entschlossen, eine kurze Lebensgeschichte zu schreiben. Da ich nicht mit einem Computer umgehen kann, diktiere ich und meine Enkeltochter schreibt Ihnen. In dem Brief, den ich von Ihnen bekommen habe, erreichte mich Ihr Wunsch, dass ich Ihnen meine Geschichte schreibe. Ich werde detailliert berichten, es ist schwer zu vergessen, sogar in meinem hohen Alter.

Vor dem Lager lebten meine Familie und ich in Polen, im Woiwodschaft Lublin, Powiat Biłgoraj, im Dorf Borowek.

Wir lebten zu sechst als Familie zusammen ­ Vater, Mutter, Großvater und Großmutter und noch ein zweijähriger jüngerer Bruder. Während des Krieges schickte mein Vater meine Mutter in ein nahegelegenes Dorf, weil es nicht in den Wäldern war, damit sie dort mit den Kindern ruhiger leben könnte.

Wir liefen zu diesem Dorf mit meinem kleinen Bruder, meine Mutter und meine Cousine hatten hatte meinen Bruder auf dem Arm. Und auf dem Weg wurden wir Kleinen und meine Mutter zu einem Lager gebracht. Da war eine Reihe von Besatzern, wir wurden alle zur Stadt Zamość getrieben. Es war eine deutsche Razzia.

Es gab im Lager nichts zu essen und noch nicht einmal Wasser, jeder kam zum Brunnen mit Scherben, um wenigstens ein bisschen Wasser zu sammeln, aber es gab nicht genug für alle. Die Deutschen machten sich einen Spaß und warfen Bonbons vom Wachturm, aber unsere Mutter behielt uns dicht bei sich, damit wir nicht zertrampelt würden. Sie warfen und lachten und nannten alle „Vieh“. Die hungrigen Menschen rannten und versuchten irgendetwas zu fangen. Sie aber saßen auf dem Wachturm, aßen Schokolade und spielten auf dem Akkordeon.

Als mein Vater herausfand, wo wir waren, wollte er uns holen und befreien, aber die Deutschen sagten, sie würden uns nur gehen lassen, wenn er einen Eimer Käse und Butter brächte. Zwei Wochen später kam mein Vater, um uns abzuholen, aber es gab meinen kleinen Bruder nicht mehr – er war verhungert, er war eineinhalb Jahre alt. Vater übergab, was er gebracht hatte und wir wurden zum Hinterausgang geschickt. Als die Menschen sahen, dass das Tor geöffnet wurde, rannten sie zum Ausgang. Die Deutschen schossen, um alle wegzutreiben, aber wir schafften es, zu entkommen und aus dem Tor zu gehen.

Man Vater brachte uns zurück ins Dorf Borowek, wo wir gelebt haben. Zwei Wochen später kam eine Gruppe russischer Partisanen zu uns und so waren in jedem Haus 10-12 Partisanen, die essen und sich waschen mussten. Aus Kiew kam der Befehl, die Deutschen weiter zu drängen. Also musste das ganze Dorf zusammenkommen und mit Pferden die Partisanen weiter ins Land transportieren. Sie wollten nachts aufbrechen, aber die Deutschen griffen an und begannen zu schießen. Mit den ersten Schüssen töteten sie meinen Vater und zwei Kommandeure der Partisanen. Da das Gebiet von den Deutschen besetzt war, verboten sie, die Menschen zu beerdigen und sie wurden erst beerdigt, nachdem ein Befehl aus Kiew [sic!] gekommen war. Dann wurde mein Vater zusammen mit den Kommandeuren in einem Sarg beerdigt – mein Vater als Partisan. Jetzt gibt es ein Denkmal im Dorf Samch in der Nähe von Borowek. Etwas später kamen deutsche Flugzeuge und bombardierten das Dorf. Meine Mutter lief weg, sie war schwanger und sah, wie eine Granate den Jungen vom Nachbarn traf und so wurde der dritte Sohn schon gezeichnet geboren und lebte nur ein Jahr. Als wir wieder zum Dorf zurückkamen, war es vollkommen zerstört und alle Häuser waren verschwunden. Wir mussten und verstecken und die Nächte in Unterschlüpfen verbringen. Irgendwann 1945 kam eine russische Abordnung und alle Ukrainer wurde in die Ukraine gebracht, einige nach Saporozhye, einige nach Kherson. Wir kamen nach Zaporozhye.

Mama arbeitete mit einem Traktoristen auf dem Anhänger, um etwas zu essen zu haben. Wir wollten zurück nach Polen, aber durften nicht nach Brest. Von Brest in die Ukraine gab es einen Transport mit Steinen und Harz und wir wurden oben auf die offenen Waggons gesetzt und zurückgebracht. Der Transport ging nach Riwne. Wir stiegen in Zdolbuniy aus und da gab es eine solche Menge von uns, dass es nicht einmal genügend Platz gab in den Baracken, um eine Tasche abzusetzen.

Unseren Anführern wurde befohlen, nach Zhytyn zu gehen, dort stünden Häuser leer und wir lebten dort ein Jahr lang. Danach gaben sie uns Land in Nova Ukrayinka, Osada Krakhovetska, wo Polen lebten. Wir hatten kein eigenes Haus, wir wurden von der Großmutter von jemand anderem aufgenommen. Unser Land wurde einem Truppenübungsplatz zugeschlagen. Um etwas zum Essen zu haben, arbeitete meine Mutter auf den Feldern von anderen Leuten und bekam Geld von ihnen, sodass es ein Stück Brot und ein Glas Milch gab. Wir Kleinen sammelten Kornähren in den Feldern von anderen Leuten, aber sie gaben sie uns nicht und vertrieben uns.

In den 50ern wurden alle Leute vom Land in die Dörfer umgesiedelt, Grundstücke wurden für Häuser abgemessen, aber wir hatten damit nichts zu tun. Wir bauten eine Lehmhütte und trugen Holzschindeln zusammen und lebten bis 1966 in solch einer Hütte. Dann bauten wir ein Haus.

Die Kolchose startete und ich ritt Pferde, versuchte etwas zu verdienen. Als ich 13 war [1954 d. Übers.] setzte ich mich auf einen Anhänger und pflügte das Land mit einem Traktoristen, der Angst hatte, dass ich irgendwo untergepflügt werde, weil ich so klein war, und der mich oft in die Kabine nahm.

Zu dieser Zeit kümmerte sich niemand um Waisen ohne Vater, und diejenigen, die kriegsversehrt waren, bekamen keine Unterstützung und hatten Probleme zu überleben. Der Faschismus hat die Leben von vielen Menschen schwer beschädigt, darunter das meiner Familie. Als sie in Polen lebte, hatte sie vier Kühe, ein Paar Pferde, Land, Wasser, Wald und ein gutes Haus. Hier musste ich mit meiner Mutter umherziehen, schon ohne Vater, um irgendwie zu überleben und ein wenig stärker zu werden.

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie mich nicht vergessen haben, und bin Ihrer Organisation dankbar, dass sie mich unterstützt. Ich möchte Sie bitten, mich finanziell bei der Sanierung meiner Zähne zu unterstützen. Das ist hier sehr teuer, man muss alles ändern, denn es sind nur wenige übrig, wie das ukrainische Wappen.