Nikolaj Grigorjewitsch Serikow und Aleksandra Nikolajewna P. – Freitagsbrief Nr. 97

Die Tochter eines verstorbenen ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen hatte 2015 unsere Mitteilung an ihren Vater über den Beschluss des Bundestages erhalten, eine finanzielle humanitäre Anerkennungsleistung an überlebende sowjetische Kriegsgefangene zu zahlen,  und antwortete darauf. Die Leistung der Bundesrepublik Deutschland konnte allerdings nur an ehemalige sowjetische Kriegsgefangene ausgezahlt werden, die persönlich oder durch legitimierte Vertreter einen Antrag stellen konnten. In diesem Brief überschneiden sich  unsere derzeitigen Arbeitsschwerpunkte, allerdings  haben wir noch lange nicht genügend Spenden, um auch den Überlebenden der verbrannten Dörfer im Gebiet Brest eine Anerkennungsleistung zahlen zu können.

Nikolaj Grigorjewitsch Serikow und Aleksandra Nikolajewna P.

Belarus, Gebiet Brest

Es schreibt Ihnen die Tochter des Soldaten Serikow Nikolaj Grigorjewitsch, geboren am 29. November 1917 im Dorf Gornowo, Pinskij Rajon, Oblast Brest. Ich heiße nach meinem Mann P. Alexandra Nikolajewna, bin geboren am 25. Juli 1941 im Dorf Gornowo, Pinskij Rajon, Oblast Brest. Ich möchte Ihnen berichten, was ich über meine Eltern und den Krieg weiß. Soweit mir bekannt ist, war mein Vater erstmals am 1. September 1939 in die polnische Armee in die Stadt Bygdash einberufen worden. Die Oblast Brest befand sich unter polnischer Besatzung. Deutschland hatte Polen überfallen, und aus diesem Grund wurde mein Vater in die polnische Armee einberufen. Am 20. September wurde mein Vater rechts am Hals und am linken Bein verwundet. Der Kampf fand am Fluss Bzura, zwischen Lodz und Warschau statt. Zwischen dem 9. und dem 12. September war er im Hospital. Am 23. September wurde er von deutschen Erkundungstruppen eingekesselt und gefangengenommen. Am 1. Oktober floh er aus der Gefangenschaft und kehrte nach Hause zurück. 1941 begann der Krieg, die Brester Festung, Brest selbst, Pinsk, alle umliegenden Dörfer wurden bombardiert. Ich wurde am 25. Juli 1941 geboren, einen Monat nach Kriegsbeginn. Meine Eltern mussten sich in Erdbunkern, Sümpfen, Kellern verstecken, um ihr kleines Kind zu beschützen. Mein Leben begann unter Bomben. Ich war viel krank, Medikamente gab es keine. Die Deutschen hatten die Mutter meines Vaters mit drei Kindern nach Österreich gebracht. Dort arbeitete sie in einem Rüstungswerk. Der Bruder meiner Mutter wurde in Pinsk ermordet. Der zweite wurde mit 16 Jahren nach Deutschland verschleppt. Mein Vater wurde 1943 [sic !] in die Armee eingezogen. Er kam direkt nach Minsk und Magowezkij in Polen. Am 10. Oktober 1944 zogen sie los Richtung Warschau. Ein Kampf begann. Sie wurden eingekesselt und gerieten in Gefangenschaft. Er war fünf Monate lang gefangen. Am 10. März 1945 wurde er durch die 46. Division des 314. Reserveregiments befreit. Sie kamen bis an die Oder. Den Sieg erlebte er auf der Insel Rubin [?].

Meine Mutter, mein Bruder, meine Schwester und ich befanden uns im besetzten Gebiet, im Dorf waren deutsche Soldaten stationiert. Es gab nichts zu essen, Medikamente waren schwer zu bekommen, mein Bruder und meine Schwester starben. 1944, als der Rückzug begann, war ich 4 Jahre alt. Ich erinnere mich, wie die deutschen Soldaten kamen, Essen für sich forderten, alles mitnahmen, was sie sahen.

Meine Eltern sind nicht mehr am Leben. Am 25. Juli werde ich 74 Jahre alt, auch ich bin Veteranin, ein Kind des Krieges, das in der Okkupation überlebt hat. Den 70. Jahrestag des Sieges habe ich mit Tränen in den Augen begrüßt. Ich hoffe, dass die junge Generation der Deutschen, ihre Kinder und unsere Kinder, meine Enkel und Urenkel niemals Krieg führen und sich immer an die Vergangenheit erinnern werden. Ich weiß nicht, ob ich berechtigt bin, die Kompensation anstelle meines Vaters zu erhalten. Ich hoffe auf eine Antwort auf meinen Brief. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

P. Alexandra Nikolajewna, Oblast Brestskaja, Tochter eines Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges.

24.07.2015

A. N. Putschilo, [Unterschrift]

Aus dem Russischen von Jennie Seitz