Lyubov Maksimowna Ch. – Freitagsbrief Nr. 205

Gebiet Poltawa, Ukraine

Sehr geehrte Damen und Herren,

Ich heiße Nataliya K., ich bin die Enkelin von Lubov  Kh.. Ich will Ihnen auch danken. Diese Geschichte hilft allen Menschen in allen Ländern zu verstehen wie schrecklich der Krieg ist.  Wir schätzen alles was sie für uns tun und bewundern Ihren Mut, mit dem Sie die Verantwortung alle Jahre tragen.

Und heute ist es besonders kompliziert für meine Oma zu ertragen, noch ein Krieg mit den Menschen aus Russland, mit dem Land wo wir viele Freunden und Verwandten haben.

Jetzt sind die Medikamenten sehr knapp, die Apotheken sind entweder fast leer oder geschlossen.  Deshalb schätzen wir jetzt Ihre Hilfe besonders stark.  Mit dem Hörgerät kann sie jetzt die Alarmstufe besser hören.

Danke noch einmal von allen aus unserer Familie aus Kiew und Lubny.  Wir vergessen nie was die Deutschen und die Menschen aus dem ganzen Welt jetzt für uns tun, danke!

Und hier ist der Brief von meiner Oma:

Herzliche Grüße aus Kiew, Nataliya K.

Eine persönliche Erinnerung, die ich, so sehr ich mich auch bemühe, nie vergessen kann. Ich möchte Ihnen erzählen, wie es war.

Im Sommer 1943 brannten die Nazis 136 Dörfer mitsamt ihren Bewohnern nieder. Unser Dorf lag in einem Feuerring. Wir hatten Angst. Wir gingen in den Wald. Nachts schlichen die Kinder ins Dorf, um Essen zu holen. Der Herbst kam und mit ihm die Kälte. Die Nazis durchkämmten mit Schäferhunden die Wälder und vertrieben die Menschen. Wir kehrten in das Dorf zurück, wo wir bis Februar lebten. Eines Nachts hörten wir ein Klopfen am Fenster, schauten hinaus – es waren Faschisten mit Maschinengewehren. Wir hatten 10 Minuten Zeit, um unsere Sachen zu packen, wurden in die Lastwagen geladen und zum Bahnhof gebracht, wo wir in Güterwaggons umgeladen wurden.  Die Fenster und Türen waren verschlossen.  Ich weiß nicht mehr, wie lange wir fuhren. Sie luden uns nachts aus, es lagen Berge von Sachen auf der Erde. Es war zu sehen, dass hier nicht nur ein Zug gehalten hatte.  Wir reihten uns auf, auf beiden Seiten gingen Deutsche mit Maschinenpistolen.  Wir mussten bis in den späten Abend hinein durch unwegsames Gelände laufen.  Wer versuchte, sich zu setzen, wurde mit Gewehrkolben geschlagen, wer nicht aufstand, wurde erschossen.  So ist der Bruder unseres Großvaters gestorben. Wir waren fünf Kinder und unsere Mutter. Der Älteste war 13 Jahre alt, der Jüngste 4 Jahre.

In dem Konzentrationslager, in das wir getrieben wurden, befanden sich Tausende von Menschen. Das Konzentrationslager war von Stacheldraht umgeben, es gab keinen Unterschlupf, keinen Bodenbelag, Frost und Schnee.  Die Menschen starben vor Kälte und Hunger, schrien und bettelten ständig um Hilfe. Es gab weder warme Kleidung noch Essen. Die Leichen wurden nicht entfernt. Mehrmals wurde Brot gebracht, das von einem großen Lastwagen geworfen wurde. Der Kampf um Brot wurde zu echten Kämpfen.  Die Menschen fielen durch die Schläge, und viele standen nicht mehr auf.  Ich weiß noch, wie unser 11-jähriger Wanja es schaffte, einen Laib zu ergattern und am Leben zu bleiben. Er hielt das Brot so fest, dass niemand es ihm wegnehmen konnte. Seine Hände lockerten sich erst, als er uns das Brot brachte.

Als unsere Späher das Lager betraten, erschauderten sie über das, was sie sahen. Sie erstatteten dem Kommando Bericht. Es wurde eine außergewöhnliche Offensive gestartet. Die Menschen gerieten an die Frontlinie, viele wurden verletzt. Ich hatte eine Schädelverletzung mit einem 5×4-Knochendefekt.  Für die aus dem Konzentrationslager Befreiten wurden in Rechitsa, Region Gomel, Lazarette eingerichtet. In der Empfangs- und Sortierstation waren wir noch mit meiner Mutter. Sie starb jedoch sofort im Krankenhaus, da sie die früheren Folterungen, die Kälte und den Hunger nicht mehr ertragen konnte.

Lubov Maksimowna Ch., geboren 1934 im Dorf Novosyolki, Belarus.