Laryssa Adamowna L. – Freitagsbrief Nr. 55

Belarus, Gebiet Witebsk

18.03.2017

Guten Tag, sehr geehrte Mitarbeiter und Unterstützer von KONTAKTE, Ihnen schreibt Jossif Kvatsch. Ich bin Sozialarbeiter, helfe älteren Menschen bei der Bewältigung des Alltags. Unter ihnen sind auch solche, die in den verbrannten Dörfern lebten. Ich schreibe das alles auf. Und wenn Menschen Geldleistungen und Briefe von Ihrem Verein erhalten, werde ich gebeten Antworten zu schreiben. Und alle sind angetan von Ihrem Handeln und dankbar. Ihre Arbeit und das Handeln all derer, die Gelder spendeten für diese Aktion, ist Beweis dafür, welch gute und aufmerksame Menschen es in Deutschland gibt. Schon soviel Zeit ist vergangen – doch sie wollen Vergebung für die Taten ihrer Väter und Großväter. Ihre Privatinitiative zeigt zum wiederholten Mal, dass die einfachen Leute größer sind als die Machtansprüche der Staatsoberhäupter – wie auch bei uns. Ein großes Dankeschön im Namen aller meiner Schützlinge!

Laryssa Adamowna L. Erinnerungen an den Krieg

Geboren am 2. Juli 1935 im Dorf Rymki. Die Mutter war 20 Jahre jünger als der Vater.

Sie arbeiteten auf ihrem Grund und Boden und auf einem Landstück, das der Vater gepachtet hatte. Sie hatten 4 Kühe, ein Pferd, eine Dreschmaschine, Korn u.v.a.m.

Während des Krieges gab es in den Wäldern viele so genannte Partisanen, die zum größten Teil Banditen waren, den Leuten Lebensmittel, Kleidung und Geld wegnahmen und auch mordeten. Auch der Onkel Mikalaj Raytschonak war bei den Partisanen. Er wohnte auf der anderen Seite des Flusses. Unweit in der Nachbarschaft gab es noch einen Namensvetter. Und einmal, es war um die Zeit des [orthodoxen -d.Ü.] Kirchenfeiertags Mariä Schutz und Fürbitte (14. Oktober) 1942 (?), da rief sie der Nachbar, der im Speicher gerade ein schönes Stück Schinken abgeschnitten und sie damit bewirtet hatte. Als sie aus dem Haus heraustraten sahen sie, dass sich aus Richtung Stachowskija eine Reihe feindlicher Soldaten [bzw. Kolloborateure -d.Ü] mit glänzenden Stahlhelmen näherte, direkt auf unsere Häuser zu, wo nebenan Mikalaj Raytschonak wohnte – jedoch nicht der, der bei den Partisanen war. Sie begannen sofort mit dem Anzünden, steckten ihre Fackeln in die Strohdächer. Die Mutter backte gerade Brot, brachte es nach draußen, denn es hatte Feuer gefangen. Die Einwohner wurden auf Fuhrwerken gesammelt und ins Ghetto Warapajewo gebracht, einige konnten weglaufen, darunter auch Adamok (ihr Vater). Er konnte sich zum Wald durchschlagen. Der kleinen Laryssa gelang es dem Vater zu folgen. Als die Mutter bemerkte, dass das Haus brannte, lief sie herbei und suchte die Kleine – vielleicht war sie noch im Haus oder im Stall, vielleicht würde sie das Weinen hören? Aber alles war umsonst.

Einer der Soldaten, ein Ukrainer, zeigte, wohin die Kleine gelaufen war. Der Vater lief nicht schnell genug, sie holten ihn ein, legten die Maschinenpistole an und schossen. Er fiel um, lag dann ganz ruhig. Laryssa sah die Soldaten, spannte das Pferd um, schlug mit dem Holzhammer auf Holz (um den Eindruck erwecken, dass sie nicht weglaufen will). Sie rührten die Kleine nicht an. Dann fand sich auch die Mutter ein (einer der Soldaten hatte gezeigt, wohin die Kleine gelaufen war.) Sie schlugen sich durch zum Dorf Wasjuki, manche fuhren mit Fuhrwerken.

Über das Flüsschen Galbjaiza gab es keine Brücke, die Mutter setzte das Kind auf die Schultern und watete durch das Wasser, das ihr bis an die Brust reichte.

In Wasjuki wohnten entfernte Verwandte väterlicherseits, Lidsja und Walodsja Labatyja. Am Morgen ging die Mutter zu den Brandstätten und fand dort den Vater, verbrannt. Sie nahm alles mit, was noch übrig geblieben war, die junge Stute, die Kuh. Sie wollte nicht am fremden Tisch ausharren, nähte große Beutel und ging mit der Kleinen durch die Dörfer und bettelte. Die Leute sahen sie und weinten, sagten, sie solle nicht weitergehen, man würde sie aufnehmen. Man gab ihnen zu essen, auch Saatgut und Kartoffeln. Als es wärmer wurde, zogen sie nach Rymki. Aus Brandresten bauten sie um einen Ofen herum eine Hütte und überwinterten so. Sie hungerten, sammelten Sauerampfersamen, aus denen die Mutter Bliny backte und Suppe kochte. Gut war es, wenn man sie mit etwas aufbessern konnte. Wenn der Weizen reif war, rissen sie die Ähren ab … und backten daraus Bliny. Welch Leckerbissen! So die Erinnerungen von Großmutter Laryssa – Geschichten, die von den Leiden und den Schicksalsschlägen des Krieges berichten.

Übersetzung aus der belorussischen Sprache, Sibylle Albrecht