Iwanow Nikolaj Michajlowitsch – Freitagsbrief Nr. 153

Kaluga, Russland
28.01.2007

[Es schreibt der Enkel Aleksander Sch.]

Sehr geehrter Dr. Gottfried Eberle, sehr geehrte Dr. Hilde Schramm, sehr geehrter Eberhard Radczuweit und alle Mitglieder des Vereins „Kontakte“!

Diesen Brief schreibt Ihnen der Enkel von Nikolaj Michajlowitsch Iwanow, Veteran des Großen Vaterländischen Krieges, dem Sie per Banküberweisung eine humanitäre Hilfe in Höhe von 300 Euro haben zukommen lassen. Leider kann Ihnen Nikolaj Michajlowitsch nicht selbst schreiben, da er schlecht sieht. Deshalb hat er mich gebeten, Ihnen zu antworten und Ihnen mitzuteilen, dass er Ihren Brief Nr. 41400 aus Berlin vom 23.9.2005 bekommen hat.

Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihnen so spät antworte. Nikolaj Michajlowitsch, seine Kinder, Enkel und weiteren Verwandten danken Ihnen sehr für Ihre Anteilnahme und Ihr Mitgefühl, und dafür, dass Sie Ihre wertvolle Zeit dafür verwenden, unsere Alten zu unterstützen, die dem russischen Staat egal sind. Wir, Nikolaj Michajlowitschs Familie, haben mit ihm gesprochen und das Gespräch auf Video aufgezeichnet. Wir werden versuchen, Ihnen das Band als Päckchen zu schicken. Meine Mutter, Ljudmila Iwanowna Schpilko, hat Nikolaj Michajlowitsch Ihren Brief vorgelesen. Als sie las, mussten beide weinen.

Als Nikolaj Michajlowitsch während der Gefangenschaft im Lager Barkenbrück [Stalag II H (302)Barkenbrügge] war, verstand er sich gut mit einem Dolmetscher namens Zilke, er stammte aus Stuttgart, seine Adresse war Hausnummer 5; die Straße weiß Nikolaj Michajlowitsch leider nicht mehr. Zilke war damals etwa 60 Jahre alt, vor dem Krieg diente er in der Nähe von Kaluga in Russland. Außerdem kann sich Nikolaj Michajlowitsch noch an Westfalenhof erinnern, Ridritz [Rederitz/Pommern], an verlassene Dörfer und an den Ort Wangarin [Wangerin/Pommern]. Er hat vom Leiter des Lagers Barkenbrück erzählt, Feldwebel Rehl. Rehl bat ihn, sein Fahrrad zu reparieren, was Nikolaj Michajlowitsch nicht schwer fiel. Danach bat ihn Rehl, eine Nähmaschine zu reparieren. Auch dies schaffte Nikolaj Michajlowitsch ohne Probleme. Das gefiel Rehl so gut, dass er Nikolaj Michajlowitsch bat, eine Brigade von Männern zusammenzustellen, die handwerklich genauso geschickt waren wie er und die Rehl unter die Arme greifen sollten, sie sollten z.B. Schlösser und einfache Geräte reparieren, Kleidung und Schuhe flicken. Als Gegenleistung bekamen sie von ihm zusätzliches Essen, Kleidung und Schuhe. Wenn diese Menschen noch am Leben wären, würde Nikolaj Michajlowitsch sie sehr gerne treffen, aber solche Wunder gibt es leider auf der Erde nicht…

Meine Mutter, Ljudmila Iwanowna Sch., Jahrgang 1934, war während der Besatzung in Belew im Gebiet Tula. Bei ihrer Familie waren deutsche Soldaten untergebracht, die die kleine Ljusja und ihre Familie gut behandelten. Sie gaben ihnen von ihrer bescheidenen Soldatenration ab und zu Feiertagen schenkten sie Spielsachen, Schokolade und andere Süßigkeiten. Meine Mutter hat bis heute die Geschenke der deutschen Soldaten sorgfältig aufbewahrt: einen grünen Weihnachtsbaum aus Karton zum Aufstellen, mit Schnee aus Glitter, und eine Darstellung der Heiligen drei Könige, die mit Geschenken zum Jesuskind ziehen, ebenfalls aus Karton zum Aufstellen. Ich bin jetzt 47 Jahre alt, aber ich weiß noch wie heute, wie ich mit sieben Jahren zum ersten Mal diesen wunderbaren Weihnachtsbaum aus Deutschland gesehen habe und wie ich ihn ablecken wollte, da ich dachte, dass der Schnee auf dem Weihnachtsbaum echt sei und gut schmecken würde.

Meine Mutter ist jetzt in Rente, aber als sie als Russischlehrerin in der Schule gearbeitet hat, hat sie ihren Schülern immer diese Geschenke aus Deutschland gezeigt, die die Freundschaft zwischen den einfachen Menschen verschiedener Länder symbolisieren. Jedes Jahr, wenn wir Weihnachten feiern, legt Mutter diese Geschenke unter den Weihnachtsbaum. Nun würde sie diese Relikte gerne Ihrem Verein vermachen.

Viel Erfolg und mit den besten Wünschen,

Aleksandr Sch.