Iwan Wasiljewitsch Djakow – Freitagsbrief Nr. 149

Ukraine, Gebiet Kirowograd
2008

Sehr geehrte Dr. Hilde Schramm, sehr geehrter Eberhard Radczuweit,

Ihren Brief aus Berlin vom 27.12.2007 habe ich am 4.1.2008 erhalten. Ihr Brief ist menschlich und aufrichtig geschrieben, er verurteilt das Nazi-Regime und ruft die Völker zu Frieden und Freundschaft auf. Ich bin begeistert von Ihrem Brief.

Mit Freude teile ich Ihnen mit, dass ich die 300 Euro schon bekommen habe, am 4.1.2008, und ich bin Ihnen dafür aufrichtig dankbar – Ihnen, Ihrem Verein und allen Bürgern für Ihre Spenden und die Anerkennung des Leids, das das Naziregime uns zugefügt hat.

Ich geriet am 18.7.1941, als wir von deutschen Truppen eingekesselt waren, zweifach verwundet und mit Gehirnerschütterung in deutsche Gefangenschaft.

Bis zum Frühjahr 1942 war ich in einem Lager für Kriegsgefangene in Budaschty in Rumänien. Die kriegsgefangenen Offiziere waren in zwei Baracken untergebracht, getrennt von den Soldaten. Wir schliefen auf Holzpritschen, als Bettzeug diente uns Stroh, von dem gegen Frühjahr nur noch Spreu übrig war. Es gab überall Läuse, mit denen wir uns jeden Tag herumschlugen. Zu Essen gab es zweimal am Tag eine Ersatzsuppe und 1000g Ersatzbrot für acht Personen.

Wir konnten uns im Lager weder waschen noch bekamen wir neue Kleidung. Das Lager wurde von deutschen Soldaten bewacht. Es waren dort 14000 Gefangene, von denen 7000 an Hunger und Kälte gestorben sind. Das sogenannte Begräbniskommando bestand aus 30 Mann. Die Toten wurden auf Handkarren weggebracht.

Im Frühjahr 1942 wurden wir, die kriegsgefangenen Offiziere, ins sogenannte Waschhaus gebracht und zum Desinfizieren, dann brachten sie uns in ein Konzentrationslager in Hammelburg [Stalag XIIIB], wo wir nach drei Wochen andere Kleidung bekamen, gebrauchte Uniformen mit der Aufschrift SU auf dem Rücken, und am linken Handgelenk trugen wir ein Schildchen mit unserer Nummer. Als Schuhe bekamen wir Holzpantinen. Dann brachten sie uns in ein Lager für Kriegsgefangene in Regensburg.

Dort arbeiteten wir drei Jahre lang in einem großen Betrieb. Ich arbeitete im Werk Nummer 6. Bewacht wurden wir von Soldaten.

Ende Mai [April?] 1945 holten sie uns aus dem Lager und führten uns irgendwohin, wohin, wussten wir nicht. Am ersten Mai wurden wir in Dintscholdintsch [Dingolfing?] an der Isar von amerikanischen Soldaten befreit. Zwei Wochen später brachten uns die Amerikaner nach Tschechien, wo die sowjetischen Truppen stationiert waren. Ich durchlief die Überprüfung und wurde dann aufgrund der Truppenverminderung in der sowjetischen Armee aus dem Armeedienst entlassen.

Ich habe am Institut für Wirtschaftwissenschaften in Moskau studiert und 25 Jahre lang beim Bau eines neues Kohlenbeckens in der Westukraine gearbeitet. Die Entscheidung Ihrer Regierung, den ehemaligen Kriegsgefangenen keine Entschädigungszahlungen zuzugestehen, verwundert mich, um so mehr, da Sie als Kanzlerin eine Frau haben, die ich als Kanzlerin gut finde.

Ich zum Beispiel habe ganze drei Jahre in Deutschland gearbeitet.

Das wäre in Kürze alles über mein Leben in der Gefangenschaft und danach.

Nun möchte ich Ihnen, Dr. Hilde Schramm, Eberhard Radzuweit und Ihrem Kollektiv ein Frohes Neues Jahr 2008 wünschen, beste Gesundheit, Glück, Frieden, Freundschaft, ein langes Leben und alles erdenklich Gute.

Wenn alle so wären wie Sie und Ihr Kollektiv, dann würden alle Menschen auf Erden in Wohlstand und Glück leben.

Mit freundlichen Grüßen,

I. W. Djakow

Aus dem Russischen von Valerie Engler