Anna Petrowna L. – Freitagsbrief Nr. 182

Für die Allukrainische Assoziation der jüdischen KZ- und Ghettoüberlebenden, für deren Mitglieder wir finanzielle Unterstützung vor allem für den medizinischen Bereich sammeln, ist es sehr wichtig, dass die Erinnerungen ihrer Mitglieder an die Zeit der Verfolgung durch die deutsche und rumänische Besatzung nicht verloren gehen. Wir  veröffentlichen deshalb hier Berichte, die sie uns geschickt haben.

Ukraine, Tschernigow
2016

Sehr geehrter Eberhard Radczuweit!

Es schreibt Ihnen L. Anna Petrowna, geboren 1935 in Tschernigow, Ukraine. Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen für die finanzielle Hilfe bedanken. Ich habe sie im Dezember vergangenen Jahres erhalten, als ich gerade im Krankenhaus lag, und sie hat mir geholfen, die nötigen Medikamente zu kaufen. Es tut sehr gut, dass Sie verstehen, welch schwierige Zeiten wir während der Besatzung im Krieg durchgestanden haben, dass Sie uns nicht vergessen und uns helfen.

Erlauben Sie mir, meine Erinnerungen an jene ferne Kriegszeit und die Schwierigkeiten, die wir erleiden mussten, in aller Kürze mit Ihnen zu teilen.

Der Chutor [Vorwerk] Borki in der Samtgemeinde Malejki, Michajlo-Kozubinskij Rajon, Oblast Tschernigow, wurde am 6. September 1941 von den deutschen Truppen besetzt.

Ich lebte mit meiner Familie auf dem Chutor Borki. Mein Vater, R. Pjotr Jakowlewitsch, arbeitete vor dem Krieg als Mechaniker im Torfbetrieb, meine Mutter, R. Tatjana Iwanowna, arbeitete in der Kolchose. Das Sumpfgebiet, auf dem sich der Torfbetrieb befand, verlief am Chutor Borki, an die gegenüberliegende Seite grenzte der Wald.

Die Bewohner des Chutors wussten, dass wir eine jüdische Familie waren. Im Januar 1942 nahmen uns die Polizai [Ordnungspolizei in deutschem Dienst], wie allen jüdischen Familien, unseren ganzen Besitz weg. Sie holten alle Lebensmittel aus dem Haus. Wir blieben ohne Existenzmittel zurück, mussten hungern. Einen Monat später kamen nochmal zwei Polizai. Sie nahmen meine Mutter, mich und meine Schwester mit und brachten uns zur Polizei im Kreiszentrum. Unser Vater war in dem Moment nicht zu Hause. Als er davon erfuhr, ritt er in Begleitung von Untergrundkämpfern los und holte unseren Karren ein, sie erledigten die Polizai und nahmen uns mit. Danach versteckten wir uns an einem schwer zugänglichen Ort im Sumpf, in einer provisorisch eingerichteten Erdhütte. Manchmal gingen wir heimlich durch den Sumpf zu den Eltern meines Vaters in das Dorf Skugary, um etwas zu essen. Einmal, während einer der ständigen Razzien, schafften es meine Mutter und ich gerade noch, aus Skugary zu fliehen, wir rannten zum Sumpf und versteckten uns im Schilf, wo wir das Ende der Razzia abwarteten, um uns dann durch den Sumpf zurück zur Erdhütte durchzuschlagen. Ich habe mit meinen Kinderaugen dieses ganze Grauen gesehen, ich habe gesehen, wie man alle, die bei der Razzia gefangen wurden, in eine Scheune gescheucht und diese Scheune angezündet hat. Wer versuchte, aus der brennenden Scheune zu fliehen, wurde erschossen. Dann, als wir in die Erdhütte zurückgekehrt waren, erkrankte meine dreijährige Schwester Ljudmila schwer und starb bald darauf. Dann wurde auch ich krank, das war im Frühjahr 1943. Mein Vater schickte meine Mutter und mich in das Dorf Plechow im Michajlo-Kozubinskij Rajon, Oblast Tschernigow, zu einem Verwandten des Partisanen Litwinenko Roman, auf dessen Dachboden wir uns bis zur Befreiung der Oblast Tschernigow von den deutsch-faschistischen Besatzern im Herbst 1943 versteckten.

Noch einmal vielen Dank für Ihre Hilfe!

Hochachtungsvoll

 Anna PetrownaL.

Aus dem Russischen von Jennie Seitz