Belarus. Gebiet Mogilyov
Guten Tag, Ragna Vogel!
Ich freue mich sehr, dass Sie sich an uns erinnern! Vielen Dank für Ihre Hilfe: ich werde dieses Geld für meinen Tod aufbewahren. Mein Name ist Anna Yegorovna Ye. Ich bin 1936 geboren.
Während des Krieges war ich 6 Jahre alt, und ich kann mich noch an alles erinnern. Wir erfuhren, dass im Nachbardorf Ch. ein Strafkommando gebildet worden war, das Kinder, alte Menschen und Frauen tötete.
Der Dorfvorsteher erzählte allen Dorfbewohnern, dass die Deutschen auch in unser Dorf kommen und alle töten würden. Sie kamen aus Mogilyov und zerstörten dabei die Dörfer und brannten sie nieder. Alle Dorfbewohner waren verängstigt und flohen in die Wälder. Auch meine Familie floh. Es ist gut, dass unsere Region große Wälder hat, in denen wir Rettung fanden. Meine Familie bestand aus 6 Personen: mir, meinen Schwestern Ol‘ga und Valentina und meinem kleinen, vierjährigen Bruder Kolya. Valya und Kolya starben während des Krieges an Krankheiten und Hunger und ließen mich und Ol‘ga zurück.
Wir kamen aus dem Wald und sahen in der Ferne, dass unser ganzes Dorf Z. in Flammen stand. Die Deutschen gingen zu jedem Haus, schütteten eine Flüssigkeit darüber und zündeten es dann an. Das Ergebnis war, dass 240 Häuser abbrannten, und diejenigen, die keine Zeit [mehr] hatten zu fliehen (alte und kranke Menschen), verbrannten bei lebendigem Leib.
Wir hatten keine Zeit, etwas aus unseren Häusern mitzunehmen, und wir standen nackt, barfüßig und hungrig da. Und von unseren Häusern war nur noch Asche übrig. Es gab nichts zu essen. Es blieb nur ein Haus im Dorf übrig, in dem die Bewohner den Ofen reparierten und Brot buken. Meine Mutter Alyona sammelte im Winter gefrorene Kartoffeln, um uns zu ernähren, und im Sommer ernährten uns der Wald und der Fluss. Im Wald sammelten wir Pilze und Beeren, und im Fluss fingen wir Fische. Die Dorfbewohner teilten ihr Essen miteinander, so gut es ging. Im Frühling säten wir Flachs und webten daraus Kleider. Wir wuschen sie mit Asche. Mein Vater machte uns aus Weiden Bastschuhe als Ersatz für unsere Schuhe. Wir haben sie heute noch. Im Winter umwickelten wir sie mit Stoff und befestigten sie mit Kordel, um sie wärmer zu machen. Die Deutschen nahmen uns alles weg, unsere Kleidung und unser Essen. Es war sehr schwer, im Winter zu überleben. Mein Vater schaffte es, einen kleinen Ofen im Unterstand zu bauen, der uns wärmte.
Bald darauf wurde er einberufen. Er kam bis nach Berlin. Wir erhielten einen Brief, dass Belarus‘ befreit sei und mein Vater bald nach Hause kommen würde. Während des Krieges hatte er eine Quetschung erlitten. Wir fingen an, ein Haus zu bauen. Wir flößten Holz auf dem Fluss und halfen uns gegenseitig.
Es war an der Zeit, zur Schule zu gehen und lesen und schreiben zu lernen. Anstelle einer richtigen Schule benutzten wir die Banja am Fluss. Zu dieser „Schule“ liefen wir in Bastschuhen. Wir nutzten Holzkohle anstelle von Füllern und Bleistiften und Baumrinde anstelle von Heften. So lernten wir Buchstaben schreiben. Ich beendete die Schule nach der 10. Klasse, danach besuchte ich die Berufsfachschule für Bibliothekare.
Ich habe 27 Jahre lang im Dorf D. mit Büchern gearbeitet. Ich heiratete und gebar drei Kinder (Nikolaj, Yelena und Tat‘yana). Ein weiteres Unglück ereilte mich: Mein Mann verließ mich wegen einer anderen Frau und ich blieb mit drei Kindern zurück, die ich allein großzog. Das Schicksal meiner Kinder war nicht besonders glücklich: Mein Sohn Nikolaj starb im Alter von 40 Jahren, meine Tochter Yelena im Alter von 54 Jahren, und meine jüngste Tochter Tat‘yana ist die einzige, die noch lebt.
Im Winter lebe ich bei meiner Tochter Tat‘yana und meinem Schwiegersohn Slava, und im Sommer bringen sie mich in mein Haus, das mir sehr am Herzen liegt. Denn die eigenen Wände bedeuten Heilung. Ich habe dort einen kleinen Garten. Die Hälfte davon ist mit Erdbeeren bepflanzt. Ich mag sie sehr, ich mache daraus süße Marmelade und Kompott. Ich mag Süßes sehr gern.
Ich bin oft krank und muss viele Medikamente kaufen; sie sind sehr teuer. Ich vermisse meine Kinder sehr. Mir kommen die Tränen. Jede Nacht bitte ich sie, zu mir zu kommen, um sie wenigstens in meinen Träumen lebendig zu sehen. Aber meine Enkel und Urenkel erlauben es mir nicht, sie zu vermissen. Davon habe ich viele. Ich habe angefangen, Socken, Handschuhe und Schals zu stricken, um mich nicht zu grämen. Ich habe für alle gestrickt! Ich habe mir alles selbst beigebracht. Ich kann auch kleine Teppiche stricken. Als ich jünger war, habe ich sie mit Kreuzstichen bestickt, aber jetzt sehe ich nicht mehr gut.
Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe und verbeuge mich tief vor Ihnen. Wir sind sehr froh, dass Ihre Menschen so mitfühlend und gut sind. Wir laden Sie zu uns ein.
Übersetzung aus dem Russischen: Karin Ruppelt und Igor Makarov