Bugaj Michail Jakowitsch – Freitagsbrief Nr. 84

Zu Anfang unseres Projekts „Hilfe für ehemalige sowjetische Kriegsgefangene“ schickten die Empfänger unserer Briefe und unserer kleinen Geldleistung in der Ukraine ihre Antworten an uns häufig an unsere Partner in Kiew, die ukrainische staatliche Stiftung „Verständigung und Aussöhnung“. Die meisten dieser Briefe waren noch nicht übersetzt. Der folgende ist ein Brief aus dem Jahr 2005.

Bugaj Michail Jakowitsch

Ukraine, Tschernigiw

Am 26. Juni 1941 wurde ich durch das städtische Militärkommissariat Tschernigow als Freiwilliger zum Armeedienst einberufen und nach Sewastopol geschickt, wo ich am 30.06.41 beim Ausbildungskommando meinen Eid leistete und in die 7. Marinebrigade der 4. Front eingeteilt wurde. Dort leistete ich meinen Dienst, bis ich im April 1942 bei der Landung auf der Halbinsel Kertsch auf der Krim verletzt wurde, einschließlich einer schweren Kopfverletzung mit Verlust der Rede und des Gehörs.

Nach meinem Aufenthalt im Hospital wurde ich mit dem Genesungskommando an die Bahnstation Rossoschtsch verlegt. Bei einem Blitzvorstoß der Deutschen im Juni wurden wir umzingelt und gerieten auf diese Weise in Gefangenschaft.

Die Deutschen trieben uns unter verstärktem Wachschutz zu einer großen Kolonne zusammen. Einen ganzen Tag lang liefen wir in Richtung Walujka. Die Deutschen fuhren mit ihren Autos umher, wechselten die Wachen im Vorbeifahren aus. Kriegsgefangene, die zu erschöpft waren, um weiterzulaufen, wurden gleich auf der Straße niedergeschossen.

Unterwegs nahmen wir einen Umweg über einen Feldflugplatz, den wir mit der kompletten Mannschaft von Minen befreien mussten. Zum Glück gab es nur zwei Explosionen. Die Toten wurden dort liegengelassen, der Rest musste weiter. Vom Bahnhof Kupjansk wurden wir mit einem Zug nach Charkow gebracht, dann weiter nach Kirowograd. Zu essen gab es einmal am Tag. Von irgendeiner medizinischen Versorgung konnte gar keine Rede sein.

Nach einem Aufenthalt im Lager Kirowograd schickte man uns nach Deutschland. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie die Stadt hieß, etwas wie Tribschiz [Trebschitz Böhmen?] oder Brüx [Sudeten], aber ich erinnere mich, dass es „Stalag IV B“ war [Mühlberg jetzt Brandenburg, gehörte zum Wehrkreis IV Sachsen, wie auch das Stalag Wistritz bei Brüx].

Bei unserer Ankunft wurden wir in Arbeitskommandos eingeteilt, und jeder Häftling bekam eine Nummer um den Hals. Meine war 184141, wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt.

Die Bedingungen waren furchtbar, das ganze Leben war durchgetaktet. Aber die meiste Zeit verbrachten wir bei Kontrollen. Und die konnte auch mitten in der Nacht stattfinden.

Diejenigen, die zum Arbeiten geschickt wurden, mussten bei der Rückkehr ins Lager auf dem Platz stehen und zwei, manchmal drei Stunden warten, bis ihre Nummern kontrolliert wurden. Das Essen war furchtbar, entweder Suppe aus Steckrüben oder Grünzeug, heißes Wasser und 150g Brot, das zur Hälfte aus Sägemehl bestand.

Nach einer Weile wurde ich in eine Abteilung des Lagers gebracht, die für das Unternehmen „Schottler und Schuster“ arbeitete, einen Braunkohletagebau.

Die Arbeit war sehr schwer, hauptsächlich Bodenstampfen für die Verlegung von Gleisen und die Verschiebung dieser Gleise entsprechend dem Arbeitsfortschritt.

Das Essen war schlecht, wir wurden erbarmungslos geschlagen. Besonders fleißig war der Chef des Tagebaus, ich meine, er hieß Otto Tyz, der immer seine Fertigkeiten im Boxen an uns trainierte. Auch der Meister über die Gleisarbeiten, ein Sudeten-Deutscher namens Stande, stand ihm in nichts nach. Seinen Nachnamen kannten wir nicht. Die Wachleute schlugen genauso zu wie die Meister. Ich bekam vielleicht besonders viel ab, weil ich stark stotterte, es bereitete ihnen Vergnügen, mich etwas zu fragen, worauf ich stotternd antwortete, um mich dann unter lautem Gelächter zu verprügeln.

Wenn wir ins Lager zurückkamen, mussten wir lange bei den Kontrollen stehen, viele mussten wegen kleinster Verstöße das „Waschen“ über sich ergehen lassen: Durch einen schmalen, mehr als ein Meter tiefen Graben voller Wasser hindurch in die Baracke gehen. Sieh zu, wie du wieder trocken wirst.

Die Kleidung war spärlich – ein altes Unterhemd und ein blauer Kittel mit einem roten Dreieck am Rücken.

Im Winter war es bitterkalt. Irgendwie gelang es uns, Zementsäcke aus Papier zu beschaffen, aus denen wir Westen fabrizierten. Wegen so einer Weste musste ich mich einmal bis zur Hüfte ausziehen und eine Stunde in der Kälte stehen, auf den Puffern. Die vielen Erkältungen rafften die Leute dahin wie die Fliegen.

Bei der Firma „Schottler und Schuster“ arbeitete ich bis April oder März 1945. Danach wurde unser Kommando an irgendeine Baustelle versetzt, wo wir Fundamente demontierten, wie es hieß, für ein Elektrizitätswerk. Aber das war schon woanders – wie der Ort hieß, weiß ich nicht mehr.

Ende April wurde unser Kommando mit einer großen Kriegsgefangenenkolonne von etwa dreitausend Mann zusammengeschlossen. Drei oder vier Tage wurden wir unter strenger Bewachung von einem Ort zum nächsten getrieben, bis wir am Ende in irgendeinem Stollen zusammengepfercht wurden. Nur die Wachen blieben oben.

Aber dann brach mitten in der Nacht eine Schießerei los, und in den Stollen kamen tschechoslowakische Partisanen, die uns erzählten, sie hätten gehört, dass die Deutschen vorgehabt hätten, den Eingang zum Stollen in die Luft zu jagen und den Schacht zu fluten.

Ich weiß nicht, welches Datum das war, aber die Tschechoslowaken hatten uns erzählt, dass gerade erbitterte Kämpfe um Prag geführt würden. Etwa zwei Tage später trafen wir auf Abteilungen unserer Armee. Ich glaube, es war irgendwo in der Nähe der Stadt Komotau.

23.04.2005

Aus dem Russischen von Jennie Seitz